Wenn Mihály Zoltán Orosz Besucher durch Érpatak führt, ist er sichtlich stolz. Er zeigt Gemüsefelder und Straßenarbeiter, erzählt vom florierenden Dorfleben, von Ruhe, Ordnung und Sicherheit. Orosz ist Bürgermeister im 2000-Seelen-Ort – und das Dorf ist sein persönliches Projekt. „Ich bin das Vorbild und der Erzieher meiner Gemeinde“, sagt Orosz – und schnell wird klar, was er damit meint.
Denn Orosz führt mitunter in Husarenuniform durchs Dorf, begleitet von seiner Leibgarde, die sonst aufpasst, dass auf den Gemüsefeldern nicht geklaut wird. In seinem Büro stapeln sich Verfügungen, in denen etwa „übertriebener Liberalismus“ verboten oder zu „persönlicher Hygiene“ aufgerufen wird. „Wir müssen gemeinsam den Weg der Ordnung beschreiten“, erzählt Orosz. Zur Kontrolle der Lebensführung kommt der Bürgermeister dann auch schon einmal persönlich zu Besuch – nebst Leibgarde.
Der Diktator und sein Dorf
Einiges hat sich im Dorf verändert, seit Orosz 2005 in Érpatak zum Bürgermeister gewählt worden ist. Denn die Ordnung, von der Orosz spricht, ist vor allem soziale Ordnung. Und die Störer sind für Orosz vor allem Angehörige ethnischer Minderheiten. Das Leben sei viel geregelter dank Orosz, berichtet ein Roma während des Rundgangs. Viele andere Roma hätten das Dorf aber bereits verlassen: „Für die, die sich nicht anpassen, ist kein Platz hier“. Orosz nickt. Man dürfe sich nicht davor fürchten, rassistisch genannt zu werden, sagt er an anderer Stelle.
Und tatsächlich gebietet Orosz in Érpatak wie ein Mini-Diktator. So werden etwa Roma, die keiner geregelten Arbeit nachgehen, zum Arbeitsdienst eingeteilt. Wer dort nicht spurt, bekommt die Sozialleistungen gestrichen. Eine Instanz, an die sich Betroffene wenden könnten, gibt es nicht. So hat Orosz über die Jahre das Dorf eingeschüchtert und seine Gegner mundtot gemacht. Und die Wenigen, die sich noch trauen, seine Herrschaft anzuzweifeln, leben unter ständigen Schikanen. Wie etwa der Mathelehrer der örtlichen Schule: Weil er gegen Orosz‘ Methoden mobil machte, ließ dieser kurzerhand die Schule schließen. Auch hier gibt es keine helfende Instanz.
Der Traum vom Großreich
Im Gegenteil: Das „Modell Érpatak“ macht Schule im Land. Für Anhänger der rechtsextremen Jobbik-Partei ist Orosz ein Held, sein Modell von Zucht, Ordnung und ethnischem Ungarntum wollen sie am liebsten überall einführen. Bei der Parlamentswahl 2014 haben über 20 Prozent der Ungarn für Jobbik gestimmt. Und im Windschatten von Orbans ohnehin reaktionärer Politik können sich die radikalen Kräfte ungestört entfalten. Immer wieder gibt es Berichte über martialische Aufmärsche von rechten Bürgerwehren und über pogromhafte Ausschreitungen gegen Minderheiten im Land.
Das Ziel der Ultrarechten ist die Errichtung eines ungarischen Großreichs in den Grenzen von 1920 – und damit einhergehend die Etablierung eines Staates nur für ethnische Ungarn. Csikshomlyo, im heutigen Rumänien gelegen, gilt als Ursprung der Ur-Ungarn und ist für die Ultrarechten ein heiliger Ort. Einmal im Jahr pilgern sie dort hin, zusammen mit Katholiken und gemäßigteren Patrioten feiern sie mit einem Gottesdienst die ungarische Geschichte. 2015 waren es 250.000 Menschen und jedes Jahr werden es mehr. Mittendrin natürlich: Bürgermeister Orosz. Hier fällt er unter lauter Trachtenträgern in seiner Husarenuniform kaum auf. Erkannt wird er trotzdem: Als der Bürgermeister, der im Kleinen das umsetzt, was sich viele Wallfahrer im Großen erhoffen.