Klimaschutz: Warum eine "Ökodiktatur" nicht die Lösung ist

    Interview

    Klimaschutz:Warum eine "Ökodiktatur" nicht die Lösung ist

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    Die "Letzte Generation" fordert mehr Klimaschutz - und stellt teilweise die Demokratie auf die Probe. Journalist Jonas Schaible über die Ökodiktatur und realistische Vorschläge.

    Viele Demonstrierende halten Plakate für mehr Klimaschutz in die Luft. Im Mittelpunkt erkennt man ein großes Schild, mit der Aufschrift "Die Zeit läuft uns davon". Außerdem ist eine explodierende und brennen Weltkugel auf das Plakat gemalt.
    Der Journalist Jonas Schaible über die Idee einer Ökodikatur. Fakt ist: Inzwischen gibt es viele Befürworter für mehr strikte Vorgaben, um dem Klimawandel entgegen zu wirken. 18.04.2023 | 9:40 min
    Die Aktionen der "Letzten Generation" werden immer häufiger und auffallender. Sie berufen sich dabei auf den Artikel 20a des Grundgesetzes und fordern die Regierung auf, die Lebensgrundlage heutiger und zukünftiger Generationen zu schützen. Doch es ist ein Kampf im Schneckentempo.
    Der Wissenschaftler James Lovelock sprach sich stattdessen schon früh für das Konzept einer Ökodiktatur aus. In Anlehnung an die Kriegswirtschaft solle dabei die Regierung die Kontrolle über die Wirtschaft übernehmen, um die Krise effektiv zu überwinden.
    Im autokratischen Staat China zeigt eine solche Handhabe Wirkung. Mit Abstand werden dort die weltweit meisten erneuerbaren Energien installiert. Doch dabei bleibt die Frage offen, wie mit Menschrechten und Naturschutz umgegangen wird.

    Klimabewegung und Ökodiktatur als Themen von Jonas Schaible

    Jonas Schaible ist Redakteur beim "Spiegel" und beschäftigt sich schon seit einigen Jahren mit dem Thema der Klimabewegung. In seinem preisgekrönten Essay von 2020 und dem gerade erschienenen Buch "Demokratie im Feuer" geht er der Frage auf den Grund, ob die Ökodiktatur tatsächlich der Weg zum Ziel sein kann. NANO hat für ZDFheute nachgefragt:
    ZDFheute: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass die Klimakrise besonders gefährlich für Demokratien sei. Warum ist das denn so?
    Jonas Schaible: Sie sind eben sehr fragil und wir sind dabei, den Klima-Korridor zu verlassen, in dem sich die gesamte Zivilisationsgeschichte abgespielt hat. Das heißt:

    Alles, was Menschen gemacht und geschaffen haben, gerät jetzt unter enormen Druck.

    Jonas Schaible, Autor von "Demokratie im Feuer"

    Und eben die besonders fragilen Systeme wie Demokratien geraten besonders unter Druck. Selbst wenn sie nicht zusammenbrechen - und die Risikofaktoren, die wir dafür kennen, werden erhöht - dann drohen die Notlagen, die Umweltkatastrophen, die politische Reaktion darauf, die Freiheiten und Freiräume enorm einzuschränken.
    ZDFheute: In solchen Zeiten rufen Menschen ja auch gerne nach einer harten Hand und das erinnert natürlich auch an James Lovelocks Stichwort der Ökodiktatur. Wäre das auch vorstellbar für uns?
    Schaible: Nein, das halte ich für ein komplettes Hirngespinst, um es mal deutlich zu sagen. Wir sehen, dass Demokratien tendenziell besser sind als Diktaturen, wenn es um Klimaschutz, wenn es um alle ökologischen Fragen geht. Wir sehen, dass sich Diktaturen ganz sicher nicht um die Freiheit scheren müssen, denn das interessiert autoritäre Machthaber wirklich überhaupt nicht.
    China installiert in der Tat sehr viel erneuerbare Energien, baut aber auch die Kohle noch aus, ist mittlerweile mit großem Abstand größter Emittent. Und das in den letzten Jahren geworden. Dann muss man sich ja fragen: Wer würde denn garantieren, dass dieses Klimadiktatur-Konstrukt danach wirklich Klimaschutz machen würde? Niemand würde das garantieren.
    24.04.2023, Berlin: Aktivisten der Gruppierung «Letzte Generation» blockieren eine Ausfahrt am Ernst-Reuter-Platz.
    Klimaaktivisten wollen Berlin lahmlegen. Über den Protest und mögliche Fehler der Politik diskutieren Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar und Aktivist Raphael Thelen.24.04.2023 | 32:07 min
    ZDFheute: Aber wir stellen natürlich fest, dass Politiker hierzulande eben auch nur das umsetzen können, was Menschen bereit sind mitzugehen. Was hätten Sie für Vorschläge, um tatsächlich mehr ins Handeln zu kommen?
    Schaible: Also das ist natürlich ein Problem. Andererseits versteckt sich Politik auch gerne mal hinter der vermuteten Mehrheitsmeinung und kann natürlich auch versuchen, Mehrheiten zu schaffen und Menschen zu überzeugen. Sie kann sich auch im Zweifel abwählen lassen. Ich glaube trotzdem, dass man, um sich nicht auf Klimaheroismus der Politik verlassen zu müssen, gut daran tut zu überlegen, wie man das System so ausrichten kann, dass es in der Lage ist, mehr und sicherer Klimaschutz zu machen.
    ZDFheute: Und was wären das für Vorschläge? Wie geht das?
    Schaible: Eine Idee ist erstmal, die Verwaltung zu stärken; die Ministerien zu stärken, die damit beauftragt sind. Wenn man mal mit Politikerinnen und Politikern redet, dann sagen die: Wir sind eigentlich permanent nur dabei, Krisen zu bekämpfen.

    Wir kommen gar nicht ins Vorausdenken und ins Voraushandeln.

    Jonas Schaible

    Da könnte mehr Personal helfen. Das ist sehr unkontrovers. Man könnt auch darüber nachdenken, Klimaziele viel fester als bisher im Grundgesetz zu verankern. Dann hätte man den Hebel, um vor Gerichten das auch einzuklagen.
    Das Interview führte NANO-Moderator Ingolf Baur.

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