Warum sich der Gender-Care-Gap hält | Terra-X-Kolumne
Kolumne
Terra X - die Wissens-Kolumne:Gender-Care-Gap: Warum Männer nicht faul sind
von Markus Theunert
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Frauen leisten mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer. Doch dafür ist nicht nur die Unlust der Männer an Hausarbeit und Kinderbetreuung verantwortlich.
Das Klischee hält sich hartnäckig: Männer gelten als kleine Paschas, die sich bei im Job verausgaben und sich dafür im trauten Heim versorgen lassen. Mit der Realität hat das wenig zu tun. 41 Prozent aller unbezahlten Arbeiten (Haushalt, Kinderbetreuung, Angehörigenpflege, Nachbarschaftshilfe, Ehrenamt etc.) leisten Männer - umgerechnet etwa 21 Stunden pro Woche. Und es wird mehr: Ihr wöchentliches Engagement hat sich in den letzten zehn Jahren im Schnitt um 80 Minuten erhöht.
In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.
Doch Frauen übernehmen nach wie vor 59 Prozent, also etwa 30 Stunden pro Woche der unbezahlten Arbeiten und auch ihre Arbeitsbelastung ist in den vergangenen Jahren um etwa 20 Minuten pro Woche gestiegen. Wenig verwunderlich also, dass so viele Frauen sich im Stich gelassen und so viele Männer sich in ihrem Engagement nicht gewürdigt fühlen.
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Der Graben zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Unbestreitbar ist: Der Gender-Care-Gap existiert - die Aufgabenlast bleibt unausgewogen. Der Horizont hieße 50:50. Denn wie das Bundesfamilienministerium festhält: "Was das Grundgesetz (…) fordert, lässt sich auch ganz einfach fassen: als Auftrag, alle Ressourcen und Belastungen, alle bezahlten und unbezahlten Arbeiten fair, also hälftig, zwischen den Geschlechtern zu verteilen." Also, woran hakt's?
Das komplexe Gefüge von Wandel und Beharrung ist in der familiären Kinderbetreuung gut untersucht. Belegt ist: Väter in allen Milieus möchten anders leben. Sie wollen alltagsnah in der Familie präsent sein und eine enge Bindung zu ihren Kindern aufbauen.
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In der Realität setzen sie das aber nur sehr bedingt um. Noch immer wirkt sich die Familiengründung kaum auf ihr Erwerbspensum aus. Erlaubt es dieser Umstand, den Vätern "verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre" zu unterstellen, wie dies das Bundesfamilienministerium mit Verweis auf den Soziologen Ulrich Beck tut?
Geschlechterforschung und Praxis der Väterarbeit kommen zu differenzierteren Schlüssen: Sie weisen darauf hin, dass die Sozialisation Leistung in allen Lebensbereichen von Männern verlangt. Deshalb verknüpfen sie Selbstwert und Performance. "Ich leiste, also bin ich" lautet der erste Glaubenssatz, "ich leiste extrem viel, also bin ich extrem viel wert" der zweite. Umgekehrt gilt die Aussage eines Betroffenen: "Seit ich 80 Prozent arbeite, fühle ich mich nur noch als halbe Portion."
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Zudem beschreiben sie die verwirrende Widersprüchlichkeit sich wandelnder Männlichkeitsanforderungen: Die fordern von Männern zwar immer vehementer ein, Gefühle zu zeigen und Sorgearbeit zu leisten. Diese neueren Anforderungen lösen aber die alten nicht ab, sondern kommen oben drauf. Denn die Last der Ernährerverantwortung bleibt mehrheitlich auf Männerschultern liegen. Statt Work-Life-Balance droht Überforderung durch immer mehr Familienarbeit bei oft gleichbleibender Belastung in der Erwerbsarbeit.
Sorge vor Konflikten am Arbeitsplatz
Sie kritisieren drittens die widersprüchliche Rolle der Arbeitgebenden. Selbst wenn man ihren Beteuerungen bezüglich Familien- und Vereinbarkeitsfreundlichkeit Glauben schenkt, bleibt die entscheidende Hürde, was direkte Vorgesetzte und gleichgeschlechtliche Teamkollegen zu den väterlichen Entlastungswünschen sagen. Gerät der Mann mit Teilzeitarbeitswunsch in den Verdacht, für seine Selbstverwirklichung den Kollegen Mehrarbeit aufzubürden, hilft auch das blumigste Bekenntnis nicht weiter.
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Zahlreiche strukturelle Hürden in der Verteilung von Care-Arbeit
Die Liste ließe sich problemlos verlängern, beispielsweise um politische Fehlanreize (Stichwort: Ehegatten-Splitting) oder betriebliche Doppelbotschaften (Stichwort: Verfügbarkeitskultur). Sicher ist: Dass Männer weniger Care-Arbeit leisten, ist ein gleichstellungspolitisches Problem. Aber weder seine Entstehung noch seine Lösung kann einseitig der Unlust und dem Widerwillen der Männer angelastet werden.
Beruf, Familie, Haushalt und eigene Bedürfnisse zu vereinen fordert viele junge Eltern. Wie können Aufgaben gerechter geteilt werden?07.04.2024 | 27:00 min
... ist Psychologe, Soziologe und Fachmann für Männer- und Geschlechterfragen. Er leitet den Dachverband Schweizer Männer- und Väterorganisationen männer.ch und ist Autor verschiedener Sach- und Fachbücher. Markus Theunert war 2012 der weltweit erste staatliche Männerbeauftragte. Nach einer öffentlichen Kontroverse trat er nach drei Wochen von seinem Amt zurück.
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