FAQ
Wirtschaft fordert mehr Tempo:Deutschland in der Zukunftsbremse
von Sina Mainitz
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Deutschland sei mitten in der "Zukunftswende", sagte Kanzler Scholz kürzlich auf dem Tag der Industrie. Klingt nach Aufbruch, Hoffnung. Doch aus Unternehmenssicht ist das anders.
Wirtschaftsverbände fordern mehr Wachstumsimpulse von der Politik.
Quelle: dpa
Fachkräftemangel, teure Energie, hohe Inflation, zu viel Bürokratie - die Liste der Probleme für deutsche Firmen ist lang. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer sieht eine große Verunsicherung in der Wirtschaft und vorerst keine Zeichen für einen breiten Aufschwung.
DIHK-Präsident Peter Adrian formuliert es so: "Deutschland ist in einer Rezession. Kaum ein anderes Land in Europa ist wieder unter dem Vor-Corona-Niveau bei der Wirtschaftsleistung." Das sei ein "Alarmsignal".
Lange Verfahren, viel Bürokratie
Seit langem fordern Wirtschaftsverbände wie der DIHK mehr Wachstumsimpulse von der Politik, etwa durch Steuern. Auch beklagen viele zähe Genehmigungsverfahren und hohe Bürokratiehürden. Hier eine Vorschrift, da eine Berichtspflicht oder ein Antrag, der ausgefüllt werden muss. Das behindert das Arbeiten. "Und diese kostbare Zeit fehlt dann, um kreativ an neuen Lösungen und an unternehmerischen Konzepten zu arbeiten" sagt Adrian. Unternehmen müssten dringend von unnötiger Bürokratie entlastet werden.
Mit seiner Haltung ist Adrian nicht allein. Im Gegenteil. Der Unmut bei Unternehmen wächst. Eigentlich sollte die Politik gute Rahmenbedingungen schaffen und Firmen ermuntern zu investieren - das sichert Jobs und Wohlstand. Momentan geht es hierzulande offenbar in eine ganz andere Richtung.
Industriepräsident: Ungeduld und Unsicherheit bei vielen Firmen
Industriepräsident Siegfried Russwurm sagt, die Politik koppele sich zusehends von der Realität ab. Die Bundesregierung habe zwar "nette Ambitionen", aber an der Umsetzung scheitere es. Auch Russwurm fordert weniger Regulierung und schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren. Das Land stehe vor einem "Berg" neuer Herausforderungen.
Die Transformation der Wirtschaft gelinge nur mit den nötigen Strukturreformen. Veränderung ja - aber bitte mit Maß und Ziel. Fördern, aber nicht verhindern oder in der Umsetzung behindern.
Lieferkettengesetz: Unkalkulierbare Risiken
Nehmen wir zum Beispiel das Lieferkettengesetz. Es soll die Fertigung eines Produkts transparenter machen. Die Richtlinie soll Unternehmen dazu verpflichten, entlang ihrer Lieferkette die Einhaltung von Standards etwa in Bezug auf Menschenrechte und Umweltschutz sicherzustellen.
In Deutschland gilt bereits seit Januar ein nationales Lieferkettengesetz. Die Bilanz bislang lieferten Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger (BDA) und Handwerks-Präsident Jörg Dittrich (ZDH) gemeinsam: Für große wie kleine Firmen führe die geplante Richtlinie zu "unkalkulierbaren rechtlichen Risiken und einer bürokratischen Überforderung".
Ab Januar tritt das neue Lieferkettengesetz in Kraft. Darin wird von Lieferanten verlangt, dass Menschenrechte und Umweltschutz eingehalten werden. Arbeitgeber kritisieren die Umsetzung der Anforderungen.30.12.2022 | 1:46 min
"Es brennt die Hütte"
Das fehlende Gesamtkonzept der Regierung wird zunehmend als Bedrohung für den Standort Deutschland gesehen. "Es brennt die Hütte" und so richtig wolle das noch keiner wahr haben, war neulich auf einer Wirtschaftsveranstaltung zu hören. Stefan Quandt, deutscher Unternehmer und Großaktionär bei BMW, äußerte sich bei seiner Rede zur Preisverleihung des Herbert-Quandt-Medienpreises. Er kritisierte unter anderem die deutsche Energiepolitik.
"Dabei wollen viele Menschen ja etwas tun", so Quandt. "Sie machen sich Gedanken über die Zukunft, verändern Lebensgewohnheiten und denken um." So habe sich etwa die Zahl der Anschlussanfragen für Solaranlagen in Deutschland im letzten Jahr verdoppelt. Auch die Nachfrage nach der Elektromobilität scheine in Schwung zu kommen.
Quandt hält es auch für wahrscheinlich, dass betroffene Industrien Deutschland den Rücken kehren werden.
Mehr Unternehmen investieren lieber im Ausland
Tatsächlich wandern immer mehr Firmen aus Deutschland ab und investieren im Ausland, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigte. Grund seien hohe Kosten und zu viel Bürokratie. Der Verband der Chemischen Industrie sprach sogar von einer "schleichenden Deindustrialisierung".
Die Politik mischt immer mehr mit. Doch zu welchem Preis? Stefan Quandt hat da eine klare Haltung: Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen würden "zunehmend gegängelt, reguliert und bürokratisiert".
Im Zuge der Transformation sind viele Einschnitte und Umstrukturierungen nötig. So erfordern etwa die Dekarbonisierung und Digitalisierung enorme Anstrengungen. Ganz zu schweigen von der Klimakrise, die immense finanzielle Klimmzüge nötig macht.
Quandt: Nicht nur bei Nachhaltigkeit die Ersten sein
Schnelleres Planen, zügiges Genehmigen, Zukunft gestalten - das fordern immer mehr Köpfe aus der Wirtschaft. Forschergeist und Kreativität dürften nicht im Keim der Bürokratie erstickt werden. Denn dann werden die klugen Köpfe abwandern.
Deutschland müsse in vielen Dimensionen erfolgreich sein, "um anderen Ländern als nachahmenswertes Beispiel zu dienen", so Quandt. Natürlich bei der Nachhaltigkeit, aber auch in Bezug auf den Fortbestand als Industriestandort, den sozialen Frieden und politische Stabilität. "Wenn wir nur bei der Nachhaltigkeit die Ersten sind, aber an den anderen Dimensionen scheitern, ist unser Land, wie wir es kennen, am Ende."
Dann könnte aus der "Zukunftswende", die Kanzler Scholz angesprochen hat, ganz schnell für Deutschland die "Zukunftsbremse" werden.
Sina Mainitz ist Redakteurin im ZDF-Börsenstudio in Frankfurt.