Regierungserklärung des Kanzlers:Scholz: Mit Waffe an Schläfe nicht verhandeln
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Ein Jahr nach Kriegsbeginn in der Ukraine sieht der Kanzler keine Grundlage für Friedensverhandlungen. "Mit der Waffe an der Schläfe lässt sich nicht verhandeln."
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat seine Regierungserklärung mit der Stimme einer Ukrainerin aus den ersten Kriegstagen begonnen - sie schilderte Kriegslärm und Angst. Frieden schaffen bedeute auch, sich Aggression und Unrecht entgegenzusetzen, betonte Scholz. Wie es die Ukrainer seit einem Jahr tun würden.
Einen Friedenschluss "über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg" könne es nicht geben. Deutschland rede mit der Ukraine und Partnerstaaten über Sicherheitsgarantien für Kiew.
Dank an Union
Scholz bedankte sich ausdrücklich bei Friedrich Merz und der Unionsfraktion für die Unterstützung dieses Kurses. Und an alle Partner richtete er das Versprechen:
In Berlin Frieden zu fordern und gleichzeitig zu verlangen, Waffenlieferungen einzustellen, helfe nicht.
Die Sicherheitszusagen, die man der Ukraine gebe, setzten voraus, dass sich Kiew im Krieg behaupte.
Scholz: Zusage für Verteidigungsausgaben gilt
Er bekannte sich erneut zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato. Dazu sei generell eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben im Bundeshaushalt erforderlich. Er habe seine Zusage gegeben, und "diese Zusage ... gilt", sagt Scholz.
Ein Jahr nach seiner "Zeitenwende"-Rede zieht Bundeskanzler Olaf Scholz Bilanz. 02.03.2023 | 4:22 min
So ordnet ZDF-Korrespondentin Andrea Maurer die Regierungserklärung ein:
Die Chancen auf eine baldige Beilegung des Kriegs durch Verhandlungen bewertete der Kanzler skeptisch. Die offene Frage sei, ob Russlands Präsident Wladimir Putin überhaupt bereit sei, über die Rückkehr zu den Grundsätzen der europäischen Friedensordnung und einen "gerechten Frieden" zu verhandeln. "Im Moment spricht nichts dafür", sagte Scholz. "Vielmehr setzt Putin auf Drohgebärden, wie zuletzt die Aussetzung des New-Start-Vertrags mit den USA."
Lob und Kritik an China
Scholz zeigte sich "sehr dankbar" für die Werbung von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) um Unterstützung für die Ukraine im Vorfeld der Sitzung der Vereinten Nationen.
Die Nato, die EU und die G7 seien auch ein Jahr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine geeint. Es gebe derzeit keine Hinweise, dass Russlands Präsident Wladimir Putin an einem gerechten Frieden interessiert sei:
So kontert Oppositionsführer Merz:
Dass sich China gegen jede Drohung mit Atomwaffen oder gar deren Einsatz gegen die Ukraine positioniert habe, habe zur Deeskalation beigetragen, lobte Scholz. Dass China den russischen Angriff nicht klar verurteilt habe, kritisierte er allerdings stark. Er forderte Peking auf, Russland im Ukraine-Krieg keine Waffen zur Verfügung zu stellen.
Peking müsse vielmehr seinen Einfluss auf Moskau nutzen, "um auf den Rückzug russischer Truppen zu drängen."
Scholz: Land "widerstandsfähiger geworden"
Der Kanzler rief in seiner Regierungserklärung zum Aufbau einer stärkeren heimischen Rüstungsindustrie auf:
Diese Produktion "erfordert langfristige Verträge und Anzahlungen, um Fertigungskapazitäten aufzubauen", sagte er. "So schaffen wir hier in Deutschland eine industrielle Basis, die ihren Beitrag leistet zur Sicherung von Frieden und Freiheit in Europa - auch das ist eine Erkenntnis der Zeitenwende."
Deutschland sei "im Licht der Zeitenwende widerstandsfähiger geworden", sagte Scholz. Er verwies auf das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen zur Stärkung der Bundeswehr, das seine Regierung als Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine eingerichtet hat. Scholz versicherte:
Merz: Weit hinter Ansprüchen zurück
Während Scholz ein Jahr nach seiner "Zeitenwende"-Rede im Bundestag eine positive Bilanz der Krisenbewältigung der Ampel-Regierung zog, machte ihm CDU-Chef Friedrich Merz als Oppositionsführer scharfe Vorwürfe. Die Bundesregierung bleibe weit hinter den damals gesetzten Ansprüchen zurück. Scholz zögere und zaudere.
Der Union geht beispielsweise Beschaffung für die Bundeswehr nicht schnell genug. Die Regierung habe die Opposition im vergangenen Jahr bei der Schaffung des Sondervermögens, für die eine Grundgesetzänderung notwendig war, unter großen Zeitdruck gesetzt, sagte Merz. Nun ließen Bestellungen und Entscheidungen auf sich warten. Diese seien aber nötig, da Sicherheit in Europa künftig "nicht mehr mit, sondern gegen Russland" organisiert werden müsse.
Kritik an Wagenknecht-Petition und Demo
Gleichzeitig kritisierte Merz die von der Linken-Abgeordneten Sahra Wagenknecht mitinitiierten Petition und Demonstration gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. In "bizarrer Gemeinsamkeit" würden Vertreter und Vertreterinnen von ganz links und ganz rechts Täter und Opfer verwechseln, sagte Merz. Dies sei zynisch und niederträchtig.
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Bartsch fordert weiter Friedensverhandlungen
Der Co-Vorsitzende der Linksfraktion, Dietmar Bartsch, sagte, die Position seiner Fraktion sei, dass alles dafür getan werden müsse, dass Russland seinen Angriffskrieg endlich beende. Seit mehr als einem Jahr werde gemordet und das Völkerrecht gebrochen, sagte er und verteidigte zugleich die Forderung nach Friedensverhandlungen. Wer Verhandlungen fordere, wolle das Sterben und Leid in der Ukraine sowie die Gefahr einer nuklearen Eskalation beenden, sagte er.
AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla warf der Bundesregierung vor, abweichende Meinungen zur Ukraine-Politik zu unterdrücken. Die Regierung wolle "alle Unliebsamen mundtot" machen, sagte er. Er beklagte:
Die beiden Kriegsparteien und Europa seien die Verlierer, sagte Chrupalla. Mit Blick auf deutsche Waffenlieferungen wiederholte er seine Forderung, sich aus dem Krieg herauszuhalten.
Quelle: ZDF, Reuters, AFP, dpa, epd