Soziologe zur Fußball-EM: "Es gibt kein Sommermärchen 2.0"
Interview
Sportsoziologe zur Fußball-EM:"Es gibt kein Sommermärchen 2.0"
|
Die Vorrunde der Fußball-Europameisterschaft ist gespielt. Zeit für ein Zwischenfazit und fünf Fragen an den Sportsoziologen Robert Gugutzer.
Der Sportsoziologe Prof. Robert Gugutzer stellt sich während der EM Forschungsfragen und findet Antworten beim Public Viewing.
Quelle: dpa
Singende Schotten, hüpfende Holländer und Saxophon-Solos. Die ersten zwei Wochen Heim-EM geizten nicht an Stimmungshighlights. Und nach dem 5:1-Sieg über Schottland im Eröffnungsspiel fragte sich ganz Deutschland: "Können wir Europameister werden, gibt es ein Sommermärchen 2.0?"
Der Sportsoziologe Prof. Robert Gugutzer stellt sich während der Fußball-EM lieber Forschungsfragen. Antworten findet er beim Public Viewing. Mit seinen Studenten von der Goethe Universität Frankfurt untersucht er dort, wie Atmosphären und Stimmungen beim Sport entstehen und was es braucht, damit Euphorie entfacht wird.
Die deutsche Fußballnationalmannschaft steht vor dem Achtelfinale. Die EM-Stimmung im Land ist gut, nun will die Mannschaft der Erwartungshaltung mit einem Sieg gerecht werden.28.06.2024 | 2:33 min
ZDFheute: Wie nehmen Sie die Stimmung bei der EM bisher wahr?
Robert Gugutzer: Die Stimmung ist gut, sowohl in den Fanzones als auch im Stadion. Aber so wirklich euphorisch, so richtig leidenschaftlich ist die Atmosphäre noch nicht.
Die Fußball-EM in Deutschland lebt vor allem von den Fans aus ganz Europa. Zeit für eine erste Bilanz.28.06.2024 | 1:08 min
ZDFheute: Die Vergleiche zum Sommermärchen werden aber immer wieder heraufbeschworen. Zu Unrecht?
Gugutzer: Wer wirklich glaubt, dass es so werden würde wie 2006, der wird ganz sicher enttäuscht. Denn dieses Mal fehlt das Überraschungsmoment. Das ist wie bei vielen anderen Partys auch, wenn man nichts erwartet, dann kann man eigentlich nur positiv überrascht werden.
Wenn aber die Erwartung von vornherein ist: Hier muss was Außergewöhnliches passieren, hier kommt das nächste Sommermärchen, dann kann man nur enttäuscht werden.
ZDFheute: Mit einem Sommermärchen wäre die Hoffnung verbunden, dass die Heim-EM die Gesellschaft nach all den Krisen wieder zusammenbringt. Kann das der Fußball überhaupt leisten?
Gugutzer: So ein großes Sportereignis leistet erstmal eine gewisse Auszeit vom Alltag. Und ich kenne kein gesellschaftliches Phänomen, das es sonst noch schafft, über vier Wochen hinweg eine Auszeit aus den üblichen alltäglichen Geschehnissen zu bewirken.
Aber es ist zu viel erwartet, dass die Probleme in unserem Land, diese Polarisierung und Spaltungstendenzen, dass die damit gelindert oder gar gelöst werden könnten.
Vor zwei Wochen startete die Fußball-EM in Deutschland. Neben den Spielen lebt diese EM vor allem durch die leidenschaftlichen Fans aus ganz Europa. 28.06.2024 | 1:20 min
ZDFheute: Welche Wirkung kann die EM dann überhaupt entfalten?
Gugutzer: Das geht nur im Kleinen. Wenn bei der EM Leute in einem Hinterhof zum Fußballschauen zusammenkommen, die die letzten Jahre nichts miteinander zu tun hatten, dann ist das auf einer mikrosozialen Ebene wunderbar und vielleicht hält das dann auch über die EM hinaus.
Volle Stadien, Party-Stimmung, vereint im Fußball-Fieber: Wie die Fans aus unterschiedlichen Ländern die EM 2024 erleben. 29.06.2024 | 65:39 min
ZDFheute: Wie entscheidend ist der sportliche Erfolg der DFB-Elf im Turnier für die Stimmung im Land?
Gugutzer: Der Erfolg ist gar nicht so entscheidend. Wichtig ist, dass sich die Mannschaft reinhängt und gut spielt.
So wie 2006 bei dem Spiel Deutschland gegen Polen. Solche Momente bräuchte das Turnier, dann kann das durch die restlichen zwei Wochen die Gesamtstimmung tragen.