Erfolgstrainer und Volksheld:Montella - der Mann, der die Türken versteht
von Claudio Palmieri
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Egal, wie weit es für die Türkei bei der EM noch gehen wird: Trainer Vincenzo Montella dürfte der Heldenstatus sicher sein. Auch, weil er Team und Land perfekt verkörpert.
Trainer Vincenzo Montella trifft mit der türkischen Nationalmannschaft im EM-Viertelfinale auf die Niederlande.
Quelle: IMAGO
Viele Anläufe brauchte Vincenzo Montella nicht, um sich an die Stimmungsschwankungen rund um die türkische Nationalmannschaft zu gewöhnen. Der Mann, der im September 2023 den entlassenen Stefan Kuntz als Coach der "Mondsterne" beerbte, blickt auf zwölf Länderspiele zurück, die extremer kaum verlaufen hätten können.
Zunächst vollendete der Italiener Kuntz’ Mission. Nach Siegen gegen Kroatien und Lettland war die Qualifikation für die EM in Deutschland sicher. Im März ging die Türkei dann in einem Test gegen Österreich mit 1:6 unter. Dass Montella in Wien "ein paar Dinge probiert" hatte, juckte am Bosporus kaum jemanden: Der erste Schandfleck war perfekt.
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Die Euphorie nach dem 3:1 beim EM-Auftakt gegen Georgien, bei dem vor allem Top-Talent Arda Güler glänzte, war nach dem 0:3 gegen Portugal in Spiel zwei wieder hinüber. Die Palette der Kritik reichte von angeblichem Trainer-Mobbing gegenüber Güler, der nur von der Bank kam, bis hin zu Vorwürfen, wonach sich der Coach die Aufstellung von Verbandsbossen diktieren lasse.
Auf den Spuren von Günes und Terim
Zwei Wochen später steht Montella auf einer Stufe mit den Trainerlegenden Senol Günes und Fatih Terim - oder ist auf einem sehr guten Weg dahin, wenn man den Fragen türkischer Reporter nach dem 2:1-Achtelfinalsieg gegen Österreich Gehör schenkt.
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Völlig unpassend sind die Vergleiche nicht. Nach Günes, der die Türkei bei der WM 2002 zu Platz drei führte, und Terim, der 2008 das EM-Halbfinale erreichte, ist der 50-Jährige der erste Trainer, der die Rot-Weißen in die K.o.-Phase eines großen Turniers geführt hat.
Taktischer Geniestreich gegen Österreich
Wer will, kann in den Antworten des einstigen Torjägers dieselbe Cleverness erkennen, die seine Elf beim taktischen Geniestreich gegen das favorisierte ÖFB-Team an den Tag legte. "Diese zwei Trainer haben die Geschichte des türkischen Fußballs über Jahrzehnte geschrieben", sagte Montella:
Montella schon als Klubtrainer in der Türkei
Montella, der vor seinem Engagement als Nationaltrainer zwei Jahre beim Erstligisten Adana Demirspor arbeitete, scheute die Parallelen also nicht - er spielte das Spiel perfekt mit. Stolz berichtete er von der "gegenseitigen Wertschätzung" zwischen ihm und Terim. Diverse Überschneidungen mit der Vita des Traineridols - wie Montella trainierte auch Terim einst die AC Florenz, die AC Mailand und die Nationalelf - legte der Ex-Stürmer von sich aus nach.
Vom Hochgelobten zum Gescholtenen und zurück: Montellas Werdegang als Coach der Türkei ist quasi ein Schnelldurchlauf seiner bisherigen Trainerkarriere.
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In Italien galt Montella als verheizt
Vor der EM galt der frühere Nationalspieler in seiner Heimat als "snobbato". Als "verachtet" oder "verheizt" also, woran ihn auch ein italienischer Reporter erinnerte. Türkei-Routiniers wie Spielmacher Hakan Calhanoglu oder Verteidiger Merih Demiral, der nach seinem Wolfsgruß-Torjubel gegen Österreich für zwei Spiele gesperrt wurde, kennen dieses Gefühl nur zu gut.
Vor allem die unglücklich verlaufenen Engagements bei Milan (2016 bis 2017) und beim FC Sevilla (2018) hängen Montella nach. Doch mit dem Coup gegen Ralf Rangnicks Österreicher, bei dem die Türkei in Sekundenschnelle von einem 4-3-3 auf ein 5-3-2 bei gegnerischem Ballbesitz umstellte, strafte der 50-Jährige seine Kritiker Lügen. Zumal er als einziger der italienischen Trainer, die im Achtelfinale standen, die Runde der letzten Acht erreichte.
Richtige Worte vor Spiel gegen Niederlande
Vor dem Viertelfinale gegen die Niederlande am Samstag (21 Uhr) in Berlin fand der Mann mit dem markanten Lächeln einmal mehr die richtigen Worte.
"Leidenschaft“ und eine "tiefgehende Liebe für dieses Land" macht Montella als Schnittmenge zwischen sich, seinem Team und "unseren Fans in Deutschland und der ganzen Welt" aus: "Diese Zuneigung spüren wir."