Fußball-EM: Wenn Nationalismus den Weg ins Stadion findet
Gesänge bei Fußball-EM:Wenn Nationalismus den Weg ins Stadion findet
von K. Belousova und I. Holtmann
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Kroaten und Albaner hetzen gegen Serben - Serben verhöhnen das Kosovo: Während der EM schwappt Nationalismus zum Teil in Hass über. Warum? Und warum steht der Balkan oft im Fokus?
Erst liegt Außenseiter Albanien gegen Kroatien vorne, dann führt der Favorit 2:1. Klaus Gjasula, der zuvor ins eigene Tore traf, schafft das gefeierte 2:2.19.06.2024 | 8:09 min
"Tötet, tötet, tötet den Serben" hallte es am Mittwoch beim Fußball-EM-Spiel zwischen Albanien und Kroatien von den Rängen. Das Hamburger Volksparkstadion wurde am zweiten Spieltag der Gruppenphase zum Schauplatz jahrzehntealter Konflikte zwischen den Nachfolgestaaten Jugoslawiens - und das nicht zum ersten Mal während dieser EM.
Zuvor waren auch serbische Fans aufgefallen: Wegen einer Flagge mit einer Landkarte, die den Kosovo nicht als eigenes Land, sondern als Teil Serbiens zeigte. Deshalb verurteilte die UEFA Serbien bereits zu einer Geldstrafe. Auch im Fall der Hassgesänge von Hamburg ermittelt die Disziplinarkammer der europäischen Fußballunion.
Fußball als Bühne für Nationalismus
Solche Szenen verdeutlichen, wie die Fußball-EM immer wieder auf Neue zur Bühne für Nationalismus und Rechtsextremismus wird - und der ansonsten friedlichen Feierstimmung unter den Nationen einen faden Beigeschmack verleiht.
Dabei fallen auch Anhänger anderer Mannschaften auf: türkische Fans, die den sogenannten "Wolfsgruß" der rechtsextremen Grauen Wölfe zeigen, oder Deutsche, die laut Polizeiangaben nach dem Public Viewing in Warnemünde den Hitlergruß machen und "Ausländer raus" grölen.
Wie kümmert sich die UEFA bei der EM um die Sicherheit? Zum Beispiel mittels Heatmaps, die zeigen, wo sich Fan-Massen bewegen. Das ZDF hatte Einblicke ins Kontrollzentrum.20.06.2024 | 3:18 min
Nationalismus und die Abwertung anderer kommt am Rande solcher Turniere länderübergreifend vor. Doch warum stehen die Nachfolgestaaten Jugoslawiens und Albanien besonders häufig im Fokus, wenn es um Nationalismus bei einer Fußball-EM oder WM geht?
"Es gibt in der gesamten Region des Ex-Jugoslawiens eine sehr vergiftete nachbarschaftliche Koexistenz", sagt Balkan-Experte Vedran Dzihic vom Österreichischen Institut für internationale Politik im Gespräch mit ZDFheute. Dies sei vor allem auf die blutigen Kriege der 1990er-Jahre zurückzuführen. Die dadurch aufgeheizte Stimmung würde auch "von vielen politischen Eliten in der gesamten Region zu Aufhetzung gegen die jeweils anderen genutzt".
Der Ex-Frankfurter Luka Jovic rettet Serbien mit seinem Treffer in der letzten Minute gegen Slowenien vor dem EM-Aus. Die Zusammenfassung des Spiels Slowenien gegen Serbien.20.06.2024 | 7:50 min
Als Beispiel nennt er den Konflikt zwischen Serbien und Kroatien. Zwischen beiden Ländern herrsche bereits seit dem Zweiten Weltkrieg eine sehr angespannte Beziehung. "Damals hat der kroatische Ustascha-Staat massive Verbrechen an den Serben begangen und das wird bis heute von den Serben auch immer wieder hervorgehoben", sagt Dzihic. "In den 90er-Jahren gab es dann auch seitens der kroatischen Seite sehr starke Vorwürfe an die Serben, punktuell der ethnischen Säuberung."
In Neuss wird die Sicherheit während der EM koordiniert: Polizisten aus jedem Teilnehmerland organisieren mit deutschen Beamten die Einsätze bei den Spielen ihrer Teams.14.06.2024 | 2:33 min
"Fußballstadien fast schon Brutstätten des Nationalismus"
Nach den Balkankriegen wurden, vor allem von Seiten der EU, zwar Versuche unternommen, dem Nationalismus beizukommen und die Vergangenheit aufzuarbeiten.
"Allerdings ist es in den letzten zehn, 15 Jahren in der gesamten Region so, dass der Prozess der europäischen Erweiterung sehr schleppend vorankommt - oder sich gar nicht mehr abspielt und dass zunehmend auch nationalistische, auch rechte Positionen in der Politik Mainstream geworden sind", erklärt der Experte.
Das wirkt sich auch auf den Sport aus. "Fußballstadien sind fast schon Brutstätten des Nationalismus in den 90er Jahren gewesen und sind das bis heute geblieben", fasst Dzihic zusammen.
Die UEFA ist Ausrichter der Fußballeuropameisterschaft. Das Turnier findet in Deutschland statt. Es geht um Spiel, Sport und Leidenschaft. Und es geht um jede Menge Geld.01.05.2024 | 43:56 min
Dünne Linie zwischen Patriotismus und Nationalismus
Das liege daran, dass Fußballgroßereignisse wie die EM oder WM mit einer hohen Emotionalität verbunden seien. "Man brennt für das, was die eigene Nationalmannschaft tut, schafft oder nicht schafft. Man befindet sich automatisch auch in einer Konkurrenz zur gegnerischen Mannschaft", sagt Dzihic.
Auch der UEFA dürfte dieser Zusammenhang bekannt sein. Sie reagiert vor allem mit Geldstrafen, wenn Fans oder auch Spieler auf dem Feld Grenzen überschreiten. Viel gebracht hat es bislang offenbar nicht: Denn keine dieser Geldstrafen vermochte es bislang, nationalistische und rechtsextreme Auswüchse einzudämmen.