FAQ
Immer wieder Massenschießereien:Warum so viele US-Amerikaner eine Waffe haben
von Nele Hubert, Jenifer Girke und Benno Krieger
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Immer wieder kommt es zu Amokläufen in den USA. Die Regierung scheint machtlos: Nur schleppend werden Verschärfungen am Waffengesetz durchgesetzt. Was steckt dahinter?
Ohne Genehmigung mit einer Waffe herumzulaufen, ist vielerorts in den USA legal. Warum?
Quelle: AP/John Locher
Früher war das Tragen von Schusswaffen in der Öffentlichkeit in den USA in den meisten Staaten entweder verboten oder stark reglementiert. Aber in den letzten drei Jahrzehnten haben viele US-Bundesstaaten ihre Gesetze abgeschwächt, sodass mehr Menschen das Tragen von Schusswaffen in der Öffentlichkeit ermöglicht wurde.
Es gibt einige Studien und Analysen, die verheerende Auswirkungen zeigen: Die CDC (Centers for Disease Control and Prevention) teilte mit, dass im Jahr 2021 48.830 Menschen in den USA an Verletzungen durch Schusswaffen starben. Das sind erheblich mehr Menschen als 2019. Damals betrug die Zahl der Erschossenen noch 39.707.
Darf jeder in der USA eine Waffe mit sich tragen?
In allen Bundesstaaten ist das verdeckte Tragen von Schusswaffen in der Öffentlichkeit in gewisser Form erlaubt. In den meisten Bundesstaaten ist auch das offene Tragen von Schusswaffen gestattet. In einigen Bundesstaaten ist eine Genehmigung nötig oder die Einschränkung, dass die Waffe entladen sein muss.
"Man hat einmal in den 1990er-Jahren ein Verbot für halbautomatische Waffen in den USA erlassen. Das ist aber nach zehn Jahren dann ausgelaufen, weil es eben an den politischen Mehrheiten fehlte, um schärfere Waffengesetze in den USA durchzusetzen", so Theveßen in Washington.
In den USA kommen jährlich tausende Menschen durch Waffengewalt ums Leben. 05.04.2022 | 33:52 min
Wer darf in den USA eine Waffe erwerben?
Das US-Bundesrecht legt einen grundlegenden nationalen Standard für die Berechtigung von Personen zum Erwerb und Besitz von Schusswaffen fest. Demnach ist es einer Person untersagt, Schusswaffen zu erwerben oder zu besitzen, wenn sie wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurde, besonders in Verbindung mit häuslicher Gewalt.
Wenn Kund*innen allerdings ihre Waffen bei Privatverkäufern ohne Lizenz kaufen, ist keine Zuverlässigkeitsprüfung nötig. Kritiker*innen sehen hier ein gefährliches Schlupfloch: Denn so könnten sich Personen, die aufgrund ihrer Vorstrafen wegen häuslicher Gewalt bei einer Zuverlässigkeitsüberprüfung für Schusswaffen durchfallen würden, an private Verkäufer wenden, um an Waffen zu gelangen.
43.000 Tote gibt es durchschnittlich in den USA jedes Jahr durch Waffengewalt. Viele Amerikaner rüsten illegal auf, besorgen sich Waffenteile im Internet und montieren sie zusammen. Der Markt für sogenannte "ghost guns", Geisterwaffen, boomt. 18.05.2022 | 6:14 min
Warum ist es so schwer, landesweite Waffengesetze umzusetzen?
Die Waffengewalt in den USA steigt - auch während der Präsidentschaft des Republikaners Donald Trump nahm der Trend von Waffenbesitz zu. Ein Grund liegt in der Macht der Waffenlobby, allen voran der Organisation NRA (National Rifle Association of America), die bereits zahlreiche Wahlen beeinflusst hat.
Auch Phil Murphy, US-Gouverneur von New Jersey, schätzt die Waffenlobby als "extrem effektiv" ein, wie er im Interview mit dem Tagesspiegel sagte. Ihr gelinge es, dass Änderungen der Regierung am Waffengesetz nur sehr kleinschrittig erfolgen. Obwohl das amerikanische Volk laut einer Umfrage des US-amerikanischen Senders CNN sich mehr Regulierungen wünscht. Im Mai 2023 befürworteten 66 Prozent der befragten Amerikaner*innen die Umsetzung schärferer Waffenrechte.
Der US-Bundestaat New Jersey hat unter Murphys Regierung beschlossen, die Waffengesetze zu verschärfen - entgegen des nationalen Trends.
Ähnlich wie New Jersey, haben auch die Staaten Kalifornien und Tennessee strengere Gesetze zur Waffensicherheit in Amerika. Doch Versuche für einheitliche Verschärfungen auf nationaler Ebene werden immer wieder von oppositionellen Republikaner*innen verhindert.
Was unternimmt US-Präsident Joe Biden gegen Waffengewalt in den USA?
Der demokratische Joe Biden versuchte in seinem ersten Amtsjahr als US-Präsident eine fünfteilige Strategie umzusetzen, um die Waffenkriminalität zu verringern.
Bidens 5-Punkte-Plan beinhaltet:
- Den Umlauf von gefährlichen Schusswaffen reduzieren
- Unterstützung der lokalen Strafverfolgungsbehörden
- Investitionen in die Bekämpfung von Gewalt in den Ortsgemeinden
- Unterstützung für Jugendliche und junge Erwachsene
- Hilfe für ehemalige Gefängnisinsassen bei der Wiedereingliederung
Kein Ende der Waffengewalt in Amerika in Sicht?
Immer wieder sind Schulen in den USA Schauplätze von tödlicher Waffengewalt. Laut dem Giffords Lawcenter (2020) sterben jährlich mehr Kinder und Jugendliche unter 18 an Schussverletzungen als an Autounfällen in den USA. Einige der tödlichsten Amokläufe an amerikanischen Schulen seit 1999:
Bei einem Anschlag auf die Grundschule in Nashville, Tennessee, wurden drei neun-jährige Kinder und drei Erwachsene erschossen. Die Täterin wurde von der Polizei erschossen, wie die Behörden mitteilten.
Ein 18-jähriger Angreifer erschoss in einer Grundschule in Uvalde, Texas, 19 Kinder und zwei Erwachsene. Der 18-jährige Angreifer wurde von den Sicherheitskräften getötet, wie die Behörden mitteilten.
Ein 17-Jähriger eröffnete das Feuer in einer High School in Houston, Texas, und tötete zehn Menschen, die meisten von ihnen Schüler. Der Verdächtige wurde wegen Mordes angeklagt.
Bei einem Anschlag auf die Schule in Parkland, Florida, wurden 14 Schüler und drei Mitarbeiter getötet und viele weitere verletzt. Der 20-jährige Verdächtige wurde wegen Mordes angeklagt.
Ein Mann tötete neun Menschen in der Schule in Roseburg, Oregon, und verletzte neun weitere, dann tötete er sich selbst.
Ein 19-Jähriger tötete seine Mutter in ihrem Haus in Newtown, Connecticut, und begab sich anschließend zur nahe gelegenen Sandy Hook Elementary School. Dort tötete er 20 Erstklässler und sechs Lehrkräfte. Er nahm sich selbst das Leben.
Ein 23-jähriger Student tötete auf dem Campus in Blacksburg, Virginia, 32 Menschen, mehr als zwei Dutzend weitere wurden verwundet. Der Schütze tötete sich anschließend selbst.
Ein 16-jähriger Schüler tötete seinen Großvater und dessen Lebensgefährtin in deren Haus in Minnesota und ging dann zur Red Lake High School, wo er fünf Schüler, einen Lehrer und einen Wachmann tötete, bevor er sich selbst erschoss.
Zwei Schüler töteten zwölf ihrer Mitschüler und einen Lehrer an der Schule in Littleton, Colorado, und verletzten viele andere, bevor sie sich selbst töteten.
Quelle: AP
Quelle: AP
Warum kann Joe Biden nicht mehr tun?
Viel passiert ist nicht - fehlender politischer Wille? Wohl eher fehlende politische Macht:
"Joe Biden würde gerne halbautomatische Waffen wieder verbieten lassen", so Theveßen weiter. "Er würde auch gerne Magazine verbieten, mit denen man Hunderte von Schüssen in schneller Folge abgeben kann. Er möchte, dass es auf Waffenshows nicht mehr so einfach ist, eine Waffe zu kaufen und gleich mit nach Hause zu nehmen." Aber dafür brauche man politische Mehrheiten.
Fälle wie in Texas, Tennessee und Florida zeigen, welche Tragödien entstehen können, wenn Waffen unreguliert im Umlauf sind und die Waffenlobby scheinbar größeren Einfluss hat als der Schutz der eigenen Bevölkerung.
Joe Biden sagte kurz nach dem Vorfall in Texas:
Internationale Medien bezeichneten es demnach als einen historischen Erfolg, dass Biden am 25.Juni 2022 das erste verschärfte Waffengesetz auf nationaler Ebene seit fast 30 Jahren unterzeichnete. Das neue Gesetz sieht unter anderem eine intensivere Kontrolle von Waffenkäufern unter 21 Jahren vor. Dass sich beide Parteien auf eine Gesetzesänderung zum Waffenrecht einigen konnten, gilt als bedeutendes, politisches Signal.
War's das jetzt?
Trotzdem sei es "immer noch nicht genug", sagte Biden bei einer Gedenkfeier für Opfer von Waffengewalt im Dezember 2022. Zum wiederholten Male appellierte Biden kurz nach der Massenschießerei in Nashville 2023 an den Kongress, substanzielle Verschärfungen des Waffengesetzes umzusetzen. Zum Beispiel ein Verbot von Sturmgewehren. Doch mit diesen Forderungen konnte er sich bis heute nicht durchsetzen.
Für solche größeren Veränderungen braucht Biden Mehrheiten im Kongress. Bei den Zwischenwahlen 2022 in den USA erzielten die Republikaner eine Mehrheit im Repräsentantenhaus. Diese lag zuvor bei den Demokraten. Obwohl die Demokraten mit zwei Sitzen mehr im Senat knapp die Kontrolle behalten, wird Bidens Durchsetzungsvermögen in der Gesetzgebung weiterhin geschwächt.