2:14 min
Nach Amokläufen und Waffengewalt:Serbien: Vucic und der Druck der Straße
von Britta Hilpert
|
Der in Serbien autokratisch regierende Präsident Vucic verliert nach den tödlichen Amokläufen mit 18 Toten an Popularität. Für Freitag ruft er zur "größten Demo aller Zeiten" auf.
Aleksandar Vučić, serbischer Präsident, regiert autokratisch. Er steht nach mehreren Amoktaten unter Druck.
Quelle: imago
Die Ribnikar-Grundschule in Belgrad wirkt nur auf den ersten Blick normal: Eltern liefern ihre Kinder ab, es wird Fußball gespielt auf dem Schulhof. Doch die Blumen sind noch da, etwas welk, und die Kuscheltiere klemmen im Zaun, um an die Schüler*innen und Erwachsenen zu erinnern, die hier vor rund drei Wochen einem 13-jährigen Amokläufer zum Opfer fielen.
Auch an der benachbarten Oberschule stehen sie noch unter Schock - und alle, mit denen ich ins Gespräch komme, sagen, dass sie zur Demo gehen: Zu der am Samstag, "gegen Gewalt" - nicht zu der am Freitag, Gott bewahre! Denn die ist arrangiert von der Regierung, von Präsident Aleksandar Vučić. Und die, so sagen viele nun, sei mitverantwortlich für das, was hier geschah.
Wut über serbische Regierung wächst
Zwei Demonstrationen wird Belgrad am Ende dieser Woche also erleben. Und beide versprechen, riesig zu werden: Die am Freitag werde "die größte aller Zeiten", verspricht Präsident Vučić. Und am Samstag die Demonstration "gegen Gewalt", die seit den Amokläufen jede Woche stattfindet - jede Woche kommen mehr Menschen, letzten Freitag waren es Zehntausende.
Denn das Entsetzen der Bürger bekommt immer neue Nahrung: Zuerst über das, was vor drei Wochen geschah: Zehn Tote, davon neun Kinder an der Grundschule in Belgrad. Einen Tag später acht weitere Tote im Süden Belgrads, ein 21-Jähriger hatte sie aus seinem Auto heraus erschossen.
Es wächst die Wut über die Art, wie die Regierung diese Krise handhabt und ihre eigene Rolle darin verleugnet: "Es geht nicht mehr nur um die Amokläufe", sagt Pedrag Petrović vom Belgrader Zentrum für Sicherheitspolitik, "sie beweisen nur, dass unsere Gesellschaft verrottet ist wegen der Herrschaft der Partei von Präsident Vučić".
In Serbien gibt es rund drei Millionen illegaler Waffen
Da verbreitet der Bildungsminister kurz nach den Amokläufen, brutale Videospiele und westliche Werte und seien verantwortlich für die Mordlust des 13-Jährigen. Dabei ist der Vater des Amokläufers bekannt als Anhänger der nationalistischen Vučić-Partei. Die Regierung will das Strafmündigkeitsalter herabsetzen, sie will den Waffenbesitz erschweren - Maßnahmen, die schnell ergriffen, doch wenig wirksam sind in dem Land mit bis zu drei Millionen illegaler Waffen und einer Kultur der Gewalt und Selbstverteidigung.
Fundamental ändere sich nichts, wenn nun 30.000 Bürger freiwillig ihre Waffen abgeben würden, meint der Experte - das diene der Regierung nur dazu, "protzen zu können, sie hätten etwas getan."
Demos kritisieren Korruption und Mafia-Verbindungen
Die Plakate bei der Demonstration vom vergangenen Freitag verraten, wo nach Meinung vieler eher angesetzt werden muss: "Rücktritte! Rücktritte!" werden gefordert, die Verbindungen der Regierung zur Mafia und die Korruption angeprangert. "Pink und Happy die Frequenzen wegnehmen!" - diese TV-Sender verbreiten Fake News und russische Propaganda, rechtfertigen Aggression und Gewalt - und unterstützen Präsident Vučić. Pink verbreitet derweil, die Proteste seien von ausländischen Mächten gesteuert.
Doch es bewegt sich etwas: Der serbische Bildungsminister musste zurücktreten, zwei Parteigranden der Vučić -Partei kritisierten kürzlich offen ihren Chef und traten aus der Partei aus. Eine besonders üble Show auf Pink TV wurde "auf Wunsch des Präsidenten" abgesetzt. Und immer offener wird im Netz darüber berichtet, wie regierungsnahe Unternehmen und die Behörden ihre Angestellten unter Druck setzen, zur regierungstreuen Demo zu gehen.
Vucic muss für das Wochenende Unterstützer mobilisieren
Das unabhängige Medium N1 berichtet sogar, dass nun auch eine Stadtangestellte namentlich darüber berichtet: Jelena Cvetković, Leiterin des Dienstes für Informationstechnologien der Stadt Niš, berichtet auf Facebook, dass ihr Dienst aufgelöst und Mitarbeiter versetzt wurden, weil sie sich weigerten, an der von der Regierung organisierten Kundgebung teilzunehmen. Dass sie das veröffentlicht, ist ungewöhnlich und zeigt, wie weit verbreitet die Wut auf die Regierenden ist.
Es bewegt sich etwas in Serbien - nicht nur auf der Strasse. Am Freitagabend muss Vučić zeigen, wie viel Unterstützung er noch für sich mobilisieren kann - mit welchen Mitteln auch immer. Er will sich damit die Meinungshoheit zurückholen. Am Samstagabend wird dann klar werden, ob ihm das gelingt. Werden wieder noch mehr auf die Straße gehen, als bei der letzten Demo "gegen Gewalt", dann wird es noch spannend in Serbien.