Mangel an Lehrkräften: Schule schön gerechnet

    Mangel an Lehrkräften :Schule schön gerechnet

    Dorthe Ferber
    von Dorthe Ferber
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    Sicher ist eines: In Deutschland fehlen Lehrer. Wie viele gebraucht werden, darüber sind sich Politik und Verbände allerdings nicht einig.

    Wie viele Lehrerinnen und Lehrer fehlen künftig an Deutschlands Schulen? 127.000 bis zum Jahr 2035, sagt der Verband Bildung und Erziehung (VBE) - die Politik verschleiere diese Zahl.

    Lehrermangel - eine Frage der Perspektive?

    "Gute Aussichten für Lehramtsbewerberinnen und Lehramtsbewerber", betitelt die Kultusministerkonferenz jüngst ihre Pressemitteilung. Schlechte Aussichten für die Schülerinnen und Schüler, könnte es auch heißen, denn es fehlen absehbar Lehrkräfte.
    Die Kultusministerkonferenz spricht von 24.000 bis zum Jahr 2035. Eine Fehleinschätzung, sagt der VBE. Tatsächlich fehlten bis dahin 127.000 Lehrkräfte, wie der Bildungsforscher Klaus Klemm in einer neuen Studie für den Verband errechnet hat.

    Lehrerausbildung dauert im Schnitt sieben Jahre

    Seit 2011 kommen in Deutschland wieder mehr Kinder zur Welt, rund 100.000 mehr pro Jahr. Und auch Zuwanderung lässt die Zahl der Kinder in den Schulen wachsen. Die Politik habe aber auf die demografische Entwicklung zu spät reagiert, kritisiert Bildungsforscher Klemm. Denn die Ausbildung neuer Lehrkräfte dauere im Schnitt sieben Jahre. Selbst wenn man jetzt sofort mehr junge Menschen für den Lehrerberuf ausbilde, werde sich das erst Ende der 2020er Jahre niederschlagen.
    Klemms Prognose lautet daher:

    Wir werden in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren an vielen Stellen mit Notmaßnahmen arbeiten müssen.

    Klaus Klemm, Bildungsforscher

    Es würden nicht für das Lehramt ausgebildete Seiteneinsteiger beschäftigt werden müssen. Und wahrscheinlich werde die Politik dann auch größere Klassenfrequenzen und Unterrichtsausfall hinnehmen.

    Numerus Clausus für Lehrerstudium abschaffen?

    Die Bildungspolitik versucht gegenzusteuern. Nordrhein-Westfalens Schulministerin möchte künftig alle Numerus-Clausus-Beschränkungen für das Lehramtsstudium abschaffen. Auch Bildungsforscher Klemm sieht die Zugangsbeschränkung kritisch. Viele junge Frauen würden gerne Grundschulpädagogik studieren, ihre Abiturnote hindere sie aber daran:

    Mir kann keiner erzählen, dass man einen 1,7 Abiturschnitt haben muss, um Grundschullehrerin zu werden.

    Klaus Klemm, Bildungsforscher

    In Sachsen-Anhalt hat das Bildungsministerium Dienstleister beauftragt, die europaweit nach Lehrkräften suchen. Nach mehr als einem Jahr Suche hat man grade mal 34 gefunden - größtenteils Seiteneinsteiger ohne klassisches Lehramtsstudium.

    VBE fordert: Schönrechnen beenden

    Die VBE-Studie zählt noch weitere Faktoren auf, die den Mangel vorne an den Schultafeln verschärfen könnten: Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule ab 2026 sei ebenso beschlossen wie der Anspruch auf Inklusion von Menschen mit Behinderung. Außerdem gebe es das politische Versprechen, Schulen in besonders herausfordernden Lagen mit mehr Lehrkräften zu unterstützen.
    Der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann fordert, die Bildungspolitik solle aufhören, den Mangel schönzurechnen. Für ihn sind die Zahlen der Kultusministerkonferenz "eine riesige Mogelpackung". Es studieren zu wenige junge Leute Lehramt, stellt Thüringens Bildungsminister Helmut Holter fest:

    Deswegen muss es insgesamt darum gehen, den Beruf attraktiver zu machen, Seiteneinsteiger reinzuholen und schneller zu Abschlüssen zu kommen.

    Helmut Holter, Bildungsminister in Thüringen

    Er denkt auch an eine Verkürzung der Ausbildung, möglicherweise von sieben auf fünf Jahre. Die lange Ausbildungszeit hat in der Vergangenheit regelmäßig zu Zyklen geführt: Auf Lehrermangel folgte Lehrerschwemme und umgekehrt.
    Diesmal sei das aber anders, sagt Bildungsforscher Klemm:

    Im Augenblick ist der Mangel so groß, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass wir zu viele Lehrer ausbilden.

    Klaus Klemm, Bildungsforscher