Nord Stream: "Andromeda"-Jacht legte auch in Polen an

    Nord-Stream-Ermittlungen:"Andromeda"-Jacht legte auch in Polen an

    von Julia Klaus, Nils Metzger, Christian Rohde, Ulrich Stoll
    |

    Welche Rolle spielt die Segeljacht "Andromeda" bei der Nord-Stream-Sabotage? Nun wird bekannt, dass das Schiff auch in Polen anlegte und polnische Beamte die Crew überprüften.

    Jacht Andromeda
    Verdächtige Segeljacht "Andromeda" - kurz vor den Anschlägen hatte sie in Polen angelegt.
    Quelle: ZDF/Frontal

    Das Rätsel, wer im September die Nord-Stream-Röhren am Grund der Ostsee gesprengt hat, ist noch immer nicht gelöst. Nun haben polnische Ermittler weitere Informationen herausgegeben.
    Die zuständige Staatsanwaltschaft in Danzig bestätigte ZDF Frontal, dass die Segeljacht "Andromeda" eine Woche vor dem Anschlag in einem polnischen Hafen angelegt hat. Bei dem zwölfstündigen Aufenthalt soll die Besatzung der verdächtigen Segeljacht sogar vom polnischen Grenzschutz kontrolliert worden sein, so die Ermittler.

    Die Ermittlungsergebnisse zeigen, dass die Jacht aus Wiek von Rügen nach Polen kam und sich an Bord sechs Personen befanden.

    Staatsanwaltschaft Danzig

    Während des Aufenthaltes seien keine Gegenstände an Deck geladen worden, so die Staatsanwaltschaft weiter.

    Welche Spuren führen nach Polen?

    Es könnte nicht die einzige Verbindung nach Polen sein. Deutsche Ermittler gehen seit längerem den Spuren der Andromeda nach. Die Verdächtigen sollen die Jacht über ein Reisebüro in Warschau - mutmaßlich eine Briefkasten-Firma - angemietet haben.
    Mitte Mai kamen deutsche und polnische Ermittler deshalb zu einem Arbeitstreffen zusammen. Dabei soll es auch um die Rolle der in Polen ansässigen Firma gegangen sein.

    Mitte Mai bat die deutsche Staatsanwaltschaft die polnische Staatsanwaltschaft um Hinweise im Ermittlungsverfahren.

    Staatsanwaltschaft Danzig

    Die "Zeit" berichtete am Donnerstag, dass polnische Behörden das Reisebüro vor wenigen Tagen durchsucht hätten. Hierzu wollte die Staatsanwaltschaft in Danzig gegenüber ZDF Frontal keine Angabe machen.
    Im Netz einsehbare Firmendaten weisen von dem Warschauer Reisebüro noch zu weiteren Firmen in Polen und der Ukraine. Ob sie ebenfalls im Zentrum der Ermittlungen stehen, ist bislang nicht bekannt.
    Segelyacht Andromeda auf dem Trockendock
    Die Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee birgt politischen Sprengstoff. Jetzt schlägt eine verdächtige Segeljacht hohe Wellen - die "Andromeda". 14.03.2023 | 11:18 min

    Andromeda soll für Operation geeignet gewesen sein

    Deutsche Ermittler halten die "Andromeda" als Operationsbasis für solch eine Sabotageaktion grundsätzlich für geeignet. Sie sei in der Lage gewesen, den Sprengstoff zu transportieren. Das berichtete nach ZDF-Informationen ein Vertreter der Generalbundesanwaltschaft (GBA) vergangene Woche dem Bundestag - und bezog sich wiederum auf Sachverständigen-Expertise, die man eingeholt habe. Der GBA-Vertreter hatte dies in zwei nichtöffentlichen Sitzungen im Innen- und Rechtsausschuss gesagt. Zuerst hatte der "Spiegel" darüber berichtet.
    Bei der Art des eingesetzten Sprengstoffs halten sich die Ermittler weiterhin bedeckt. An Bord der 15 Meter langen Segeljacht waren Sprengstoffreste gefunden worden. Es handele sich um professionellen Sprengstoff, den man auch im industriellen Bereich verwenden könne, so der GBA-Vertreter im Bundestag.
    Mehrere Medien hatten berichtet, dass auf der Jacht Oktogen - auch HMX genannt - gefunden worden sei. Der im Wasser nicht lösliche Stoff hat eine höhere Sprengkraft als etwa TNT. Um dieselbe Wirkung zu erzielen, wäre also weniger Sprengstoff nötig als zunächst angenommen. Zu Beginn der Ermittlungen kursierte die Zahl von 500 kg TNT-Äquivalent, die für die beobachtete Explosionswirkung nötig gewesen sei. Sollte HMX im Einsatz gewesen sein, reduziere sich dies auf rund 30 bis 50 Kilogramm je Explosion, schätzt der Marine-Experte Göran Swistek von der Stiftung Wissenschaft und Politik gegenüber ZDF Frontal.
    Bei den Explosionen waren beide Stränge von Nord Stream 1 und ein Strang von Nord Stream 2 zerstört worden. Laut GBA sollte auch die vierte Röhre - jene von Nord Stream 2 - gesprengt werden. Das sei aber misslungen.
    Grafik: Nordstream Explosionsstellen
    Grafik: Explosionsstellen an den Nord-Stream-Pipelines.
    Quelle: Quadrolux

    Wer steckt hinter der Nord-Stream-Sabotage?

    Auch durch die neuen Erkenntnisse wird nicht unbedingt klarer, wer hinter einer der bedeutendsten Sabotageaktionen der jüngeren Zeit steckt. "Belastbare Aussagen zur Frage einer staatlichen Steuerung können derzeit nicht getroffen werden", schreibt eine GBA-Sprecherin ZDF Frontal auf Nachfrage.
    In den Bundestags-Ausschüssen hatte der GBA-Vertreter bestätigt, dass eine Beteiligung Russlands, der USA oder der Ukraine nicht belegbar sei. Auch eine False Flag-Operation, also eine Aktion, die die eigentlichen Saboteure verschleiern soll, sei weiter nicht ausgeschlossen.
    Fregattenkapitän Göran Swistek, Experte für maritime Sicherheit von der Stiftung Wissenschaft und Politik
    Die "Anzahl der Infrastruktur" im maritimen Raum würde zunehmen "und das alles zu schützen wird schwierig", so Fregattenkapitän Göran Swistek, Experte für maritime Sicherheit von der Stiftung Wissenschaft und Politik.02.06.2023 | 4:46 min
    Aus Sicherheitskreisen erfuhr das ZDF zudem, dass deutsche Nachrichtendienste Mitte Juni 2022 durch einen US-Dienst vor einem unmittelbar bevorstehenden Anschlag auf die Pipeline durch mehrere Personen mit Ukraine-Bezug gewarnt worden sein sollen. Als der Anschlag zunächst nicht erfolgte, sollen deutsche Behörden die Quelle der Warnung als unseriös erachtet haben.
    Diese Spuren in Richtung Ukraine müssen aber nicht heißen, dass tatsächlich Ukrainer dahinterstecken.
    Zudem gibt es auch Hinweise nach Russland. Ein russisches Bergungsschiff der Marine kreuzte wenige Tage vor den Anschlägen in der Nähe der Pipelines, hatten dänische Behörden bestätigt. Das Schiff hatte ein Mini-Uboot an Bord. Über ungewöhnliche Bewegungen russischer Schiffe hatten auch mehrere skandinavische Medien berichtet, die ihre Erkenntnisse vorab mit dem ZDF, dem "Spiegel" und dem "Standard" geteilt hatten. Demnach kreuzten mehrere Schiffe im Juni über den späteren Explosionsstellen.

    Wie geht es weiter mit den Ermittlungen?

    Ein gemeinsames europäisches Ermittlerteam zu Nord Stream, ein sogenanntes Joint Investigation Team, kam nicht zustande. Es scheiterte an Bedenken skandinavischer Partner. So blieb es bislang beim bilateralen Austausch mit einzelnen Ländern wie Polen.
    Die Ermittlungen des Generalbundesanwalts laufen seit Oktober 2022, Bundespolizei und BKA sind eingebunden. Bislang reichen die Hinweise offenbar nicht aus, um Anklage gegen konkrete Personen zu erheben. Mitten im Ukraine-Krieg ist diese Untersuchung ohnehin eine der politisch heikelsten seit dem Zweiten Weltkrieg.

    Mehr zu Nord Stream