Schleswig-Holstein:Ex-Ministerpräsidentin Heide Simonis ist tot
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Sie war die erste Frau an der Spitze eines Bundeslandes. Nun ist die SPD-Politikerin und frühere schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis mit 80 Jahren gestorben.
1993 wurde Heide Simonis Deutschlands erste Ministerpräsidentin: Zwölf Jahre regierte sie in Schleswig-Holstein. (Aufnahme aus dem Jahr 2010)
Quelle: dpa
Heide Simonis hat Geschichte geschrieben. Die schlagfertige SPD-Politikerin mit einer Vorliebe für auffällige Hüte und deutliche Worte war die erste Ministerpräsidentin Deutschlands.
Das tragische Ende ihrer Laufbahn, als Heide Simonis 2005 in vier Anläufen ihre Wiederwahl zur schleswig-holsteinischen Regierungschefin verpasste, prägte sich ins kollektive Gedächtnis ein und wurde zum Synonym politischen Scheiterns. Nun ist sie im Alter von 80 Jahren gestorben.
In den letzten Jahren wurde es ruhig um Simonis, die bereits vor vielen Jahren ihre Parkinson-Erkrankung publik machte und sich allmählich aus der Öffentlichkeit zurückzog. Ausnahmen gab es in den vergangenen Jahren nur noch wenige - etwa als ihr die SPD zum 75. Geburtstag 2018 für ihr Lebenswerk die Willy-Brandt-Medaille verlieh, ihre höchste Auszeichnung.
Heide Simonis: Immer wieder Vorreiterin
Während ihrer jahrzehntelangen aktiven politischen Karriere ist die am 4. Juli 1943 in Bonn als älteste von drei Schwestern geborene Simonis immer wieder Vorreiterin. Sie galt als offen, aber auch unverblümt und furchtlos. Ihr Studium als Volkswirtin verschlägt sie nach Kiel, wo sie Wurzeln schlägt und ihren Mann Udo kennenlernt, später ein führender Umweltökonom.
1967 heiratet das Paar, den Antrag macht Simonis, wie sie später selbst erzählt. Nach Auslandsaufenthalten kehrt das Paar Anfang der 70er Jahre nach Kiel zurück, wo die inzwischen in die SPD eingetretene Simonis als Berufsberaterin beim Arbeitsamt arbeitet sowie als Ratsherrin aktiv ist.
Reaktionen zum Tode von Heide Simonis
Der Bundespräsident würdigte Heide Simonis als Pionierin, die Politikgeschichte geschrieben habe. Sie sei eine "herausragende politische Persönlichkeit" gewesen, die die Demokratie weit über die Grenzen Schleswig-Holsteins hinaus geprägt, mitgestaltet und "nicht zuletzt auch weiblicher gemacht" habe, so das Staatsoberhaupt. Ausgezeichnet habe Simonis zudem Menschlichkeit und Empathie. Es sei ihr immer ein Anliegen gewesen, "für all jene da zu sein, die es im Leben schwerer als andere hatten".
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) würdigte Simonis als ein Vorbild für viele in der Politik. "Mit ihrer durchsetzungsstarken Art überzeugte sie schon als junge Bundestagsabgeordnete - auch mich", schrieb Scholz auf Twitter.
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sagte, "ich trauere um eine große Politikerin und um eine leidenschaftliche Schleswig-Holsteinerin". Er sprach der Familie sein tief empfundenes Mitgefühl aus. Heide Simonis habe "nie ein Blatt vor den Mund genommen" und "mit ihrer Persönlichkeit, ihrem Engagement, ihrer Menschlichkeit und ihrer Geradlinigkeit Schleswig-Holstein noch liebenswerter gemacht".
Der ebenfalls aus Schleswig-Holstein stammende Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) sagte der Deutschen Presse-Agentur, "als erste Ministerpräsidentin hat Heide Simonis Geschichte geschrieben, als Repräsentantin meines Bundeslandes war sie eine Ikone". Er habe Simonis immer als starke, charismatische Frau erlebt. "Sie hat nie ihren Humor, ihren Witz und ihre Direktheit verloren."
Der frühere schleswig-holsteinische Ministerpräsident Björn Engholm (SPD) sprach von einem großen Verlust. "Heide Simonis gehörte zu den herausragendsten Frauen in der deutschen Politik der Nachkriegszeit", sagte der 83-Jährige den "Lübecker Nachrichten".
"Sie besaß fachliche Kompetenz, einen unglaublichen Witz und ungeheure Sprachgewalt." Simonis sei in ihrer Zeit allen ihr gegenüber skeptischen Männern weit überlegen gewesen, sagte Engholm.
Quelle: dpa, AFP, KNA
"Sie besaß fachliche Kompetenz, einen unglaublichen Witz und ungeheure Sprachgewalt." Simonis sei in ihrer Zeit allen ihr gegenüber skeptischen Männern weit überlegen gewesen, sagte Engholm.
Quelle: dpa, AFP, KNA
1976: SPD-Politikerin Simonis als Abgeordnete gewählt
Schon bald jedoch beginnt der steile politische Aufstieg. 1976 wird sie als Abgeordnete in den Bundestag in Bonn gewählt - damals ist sie mit 33 Jahren die bis dahin jüngste Parlamentarierin.
Unerschrocken legt sie sich selbst mit autoritären Parteigranden wie Herbert Wehner an. Die Lehre aus dieser Zeit fasst sie einmal so zusammen:
In einer Zeit, in der traditionelle Geschlechter- und Rollenklischees in Gesellschaft wie Politik noch als weitestgehend unhinterfragt gelten, wird Simonis damit zu einer Pionierin der Emanzipation, auch wenn sie sich nicht als Feministin sieht und auch mit Instrumenten wie einer Frauenquote wenig anfangen kann. "Frau sein ist kein Handycap", soll sie einmal gesagt haben.
Simonis wird erste Ministerpräsidentin
Im Bundestag entwickelt sich Simonis zur Haushaltsexpertin, 1988 wechselt sie zurück nach Schleswig-Holstein und wird Finanzministerin im Kabinett des SPD-Hoffnungsträgers Björn Engholm.
Ihre Stunde kommt 1993, inmitten höchst turbulenter Zeiten, in denen die sogenannte Barschel-Affäre die Kieler Landespolitik im Griff hat. Ministerpräsident Engholm muss wegen Falschaussage vor einem Untersuchungsausschuss zurücktreten.
Simonis, die auch Vizeregierungschefin ist, wird vom Landtag zur Nachfolgerin gewählt. Dadurch wird die "Powerfrau der SPD" zur ersten Ministerpräsidentin in der Geschichte der Bundesrepublik. Ihr Amt als Landesmutter übt sie lebhaft aus. Sie polarisiert, ist aber auch beliebt. Mit ihr gewinnt die SPD zweimal in Folge Landtagswahlen und führt die Landesregierung in Kiel.
Dritte Anlauf wird zum Fiasko
Zum Fiasko gerät ihr dritter Anlauf 2005. Trotz massiver Verluste der SPD will sich Simonis nach der damaligen Wahl an der Spitze einer rot-grünen Minderheitsregierung mit Duldung des Südschleswigschen Wählerverbands (SSW) an der Macht halten.
Das scheitert im Landtag aber in vier Wahlgängen an einem unbekannten Abweichler aus den eigenen Reihen, der ihr die Stimme versagt - ein beispielloser Politkrimi, der bundesweit verfolgt wird.
Aufgaben nach Karriereende
Die zutiefst gedemütigte Simonis wirft danach alles hin, ihr traumatisches Karriereende überwindet sie niemals völlig. Später sucht sie sich neue Aufgaben, einige Jahre ist sie Vorsitzende des Kinderhilfswerks Unicef in Deutschland. Auch hier tritt sie nicht immer dezent auf. Als sie 2006 an der RTL-Show "Let's Dance" teilnimmt, um das Honorar zu spenden, verspottet die Boulevardpresse sie aufgrund ihrer Tanzdarbietungen als "Hoppelheide".
Nach einem Streit um Geldverschwendung bei der deutschen Unicef-Sektion nimmt sie 2008 ihren Hut.
Im Alter zunehmend stiller um Simonis
Danach wird es zunehmend still um Simonis, die mit ihrem Mann in einer Kieler Altbauwohnung lebt und dort ihre Hobbys pflegt - allen voran das Nähen von Quilts, aufwändigen bunten Steppdecken.
Nur hin und wieder unterstützte sie noch ihre Partei in Wahlkämpfen oder gibt Interviews, insbesondere beim Thema Scheitern ist Simonis wegen der Ereignisse von 2005 als Gesprächspartnerin noch lange gefragt.
sagte sie einmal. Er werde sicherlich auch noch andere Dinge berichten. "Aber diese eine Passage wird er nicht vergessen."
Quelle: dpa
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