Griechenland zu Migration: "EU verharmlost die Gefahr"

    Interview

    Griechenlands Asylminister:"Brauchen ein neues Abkommen mit der Türkei"

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    In Griechenland kommen wieder sehr viel mehr Geflüchtete an. Asylminister Kairidis warnt vor einer neuen Migrationskrise - und fordert begrenzte und legale Zuwanderung.

    Archiv: Flüchtlingslager in Griechenland
    Sinnbild für eine gescheiterte EU-Migrationspolitik: Flüchtlingslager in Lesbos (Archivbild)
    Quelle: dpa

    ZDFheute: Ist Griechenland den steigenden Zahlen von Geflüchteten gewachsen?
    Dimitriοs Kairidis: Griechenland hat ein vorbildliches System zur Erstaufnahme und Bearbeitung von Aslyanträgen. Die Verfahren werden inzwischen schnell durchgeführt. Im Gegensatz zu anderen südeuropäischen Ländern haben wir eine Infrastruktur an Lagern, die uns ein besseres, effektiveres und menschlicheres Management erlaubt.
    Archiv: Dimitrios Kairidis am 15.12.2022 in Athen.
    Der griechische Asylminister Dimitriοs Kairidis.
    Quelle: picture alliance / ANE / Eurokinissi

    Es ist nicht perfekt, es gibt Mängel und Probleme. Doch die notwendige Diskussion darüber darf nicht davon ablenken, dass wir eine Eskalation erleben. Möglicherweise stehen wir vor einer neuen Migrationskrise und ich bin beunruhigt über eine beschwichtigende Haltung, die ich innerhalb der EU wahrnehme.
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    ZDFheute: Welche Rolle spielt die Türkei?
    Kairidis: Das System der Rückführungen funktioniert nicht, es gibt keine Abschiebungen. Weder die Herkunftsländer noch die Türkei kooperieren. Sie ist aber ein Schlüsselland, das die Routen im östlichen Mittelmeer kontrolliert. Und was im Mittelmeer geschieht, beschränkt sich nicht aufs Mittelmeer, sondern führt zu Sekundärmigration nach Deutschland und anderswohin.

    Wir brauchen vorrangig ein neues Abkommen mit der Türkei, das für beide Seiten gewinnbringend ist.

    Und dazu brauchen wir Deutschland mit seiner besonderen Beziehung zur Türkei. Soll der Schutz von Geflüchteten für diejenigen funktionieren, die ihn benötigen, so müssen auch diejenigen, die abgelehnt werden, rückgeführt werden. Europa muss hier gemeinsam Druck ausüben, um effektiv zu sein.
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    ZDFheute: Griechenland stand wegen sogenannter Pushbacks in der Kritik. Haben die vermehrten Ankünfte mit einer veränderten Grenzschutzpolitik zu tun?
    Kairidis: Wir verfolgen eine strenge, aber gerechte Politik. In die Kritik spielen auch Zielsetzungen politischer Kräfte mit hinein, die glauben, jedweder Grenzschutz verletze die Menschenrechte. Sie fokussieren sich nicht auf die halbe Million Rettungsaktionen, die die griechische Küstenwache in den vergangenen zehn Jahren durchgeführt hat, sondern auf die angeblichen Pushbacks.
    Diese Fälle in begrenzter Anzahl, die zur Anklage gebracht worden sind, werden von der griechischen Justiz, den griechischen und europäischen Behörden untersucht. Ich bin ein Liberaler und lasse mir meine Humanität von niemandem absprechen.

    Aber wir können es uns nicht leisten, naiv zu sein.

    Ich bin überzeugt, dass wir dem Problem unter Einhaltung des internationalen Rechts begegnen können, wir brauchen uns nicht die Praktiken einiger weniger osteuropäischer Länder zu eigen zu machen.
    ZDFheute: Was sagen Sie dazu, dass deutsche Gerichte die Lebensbedingungen für Geflüchtete in Griechenland für unzumutbar halten?
    Kairidis: Griechenland ist Deutschland an finanziellen Mitteln unterlegen. Wir haben nach einer zehnjährigen Krise einen sehr abgemagerten Sozialstaat. Vieles können wir auch griechischen Bürgern nicht finanzieren. Deutsche Sozialleistungen liegen erheblich über dem Mindestlohn eines Arbeitnehmers in Griechenland.

    Daher zieht es viele Geflüchtete nach Deutschland, nach Norden, wo man sich mit der Rolle als Magnet auseinandersetzen sollte.

    An der Peripherie Europas haben wir die wirtschaftlichen Probleme, die die Menschen weitertreiben, auf der anderen Seite liefert dieser Magnet die Motivation dazu.
    Griechenland steht dazwischen unter einem starkem Migrationsdruck, mit dem wir human, aber auch effektiv umgehen müssen. Das ist nicht einfach, schon gar nicht, wenn sich das Problem zahlenmäßig wieder verschärft.
    ZDFheute: Was sollte Europa tun?
    Kairidis: Die Migrationsfrage ist existentiell für die Europäische Idee, sie kann uns spalten und polarisieren wie kaum eine andere. Wir brauchen begrenzte, legale Migration, dazu müssen wir der illegalen Migration legal Herr werden.

    Europa ist da oft zu nachlässig, es verharmlost die Gefahr.

    Ich appelliere an ganz Europa, dem Problem in die Augen zu schauen, dabei menschlich zu bleiben, aber nicht naiv zu sein.
    Denn wenn wir, die politische Mitte Europas, keine Lösungen finden, wir, die moderaten Kräfte der Vernunft, dann werden wir abgelöst von Kräften der Unvernunft, des Radikalismus und des Irrsinns. Wir müssen Ergebnisse vorweisen, sonst werden wir leicht zum Spielball zwischen den beiden politischen Extremen.

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    von Jan Schneider
    Flüchtlinge im Mittelmeer
    Quelle: ZDF

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