Mit wem ich gestern telefoniert habe, in welcher Funkzelle ich währenddessen eingeloggt war und wie lange der Anruf gedauert hat – diese Informationen darf der Staat nicht einfach vorsorglich speichern. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) heute entschieden.
Denn wer diese Informationen über mich hat, kann sich unter Umständen ein Bild über meine Gewohnheiten und meine Persönlichkeit machen und damit viel über mein Privatleben herausfinden. Ein Eingriff in die Privatsphäre also, der nicht mit dem Europarecht vereinbar ist.
Drastischer Eingriff in Privatsphäre
Diesen Eingriff in die Privatsphäre erlaubte aber das deutsche Gesetz zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung, über das der Europäische Gerichtshof jetzt entschieden hat. Nach dem Gesetz sollten Informationen darüber, wer wann mit wem wo telefonierte und wer über welche IP-Adresse im Netz surfte, vorsorglich gespeichert werden können.
Für den Fall, dass die Informationen zur "Bekämpfung schwerer Kriminalität" oder zum "Schutz der nationalen Sicherheit" einmal gebraucht würden, sollten sie einfach aus der Schublade geholt werden können. Aus Sicht der Ermittlungsbehörden ein hilfreiches Mittel, doch Datenschützer und Telekommunikationsanbieter schlugen Alarm.
Gericht klar gegen anlasslose Speicherung von Informationen
Jetzt hat der Europäische Gerichtshof nach seinem wegweisenden Urteil von 2020 erneut klargestellt, dass die vorsorgliche Speicherung dieser sensiblen Informationen nur für den Fall, dass sie einmal nützlich sein könnten, rechtswidrig ist.
Das deutsche Gesetz aus dem Jahr 2015, das die Speicherung dieser Informationen erlaubte, ist damit passé. Obwohl es wegen der rechtlichen Unsicherheiten seit 2017 nicht mehr angewendet wurde, steht nun fest, dass es in dieser Form auch nicht zur Geltung kommen kann.
Wenn überhaupt, ist eine neue Regelung notwendig, die die Vorgaben des EuGH aus dem heutigen Urteil beachtet. Denn hier haben die Luxemburger Richterinnen und Richter deutlich gemacht, dass eine Speicherung der sensiblen Informationen nur in sehr eng umgrenzten Ausnahmefällen angeordnet werden darf.
Nachdem lange ungewiss war, ob Telekommunikationsanbieter bestimmte Daten auf Vorrat speichern müssen, soll es jetzt Klarheit geben: Der EuGH wird am Dienstag darüber entscheiden.
von Anne Stein
Geht es um die Bekämpfung schwerer Kriminalität, wie zum Beispiel dokumentierter Kindesmissbrauch, dürfen Telefondaten nur zielgerichtet, also von Personen, bei denen schon ein konkreter Verdacht besteht, gespeichert werden. Lediglich IP-Adressen dürfen zum Kampf gegen diese Straftaten auch anlasslos für gewisse Zeit gespeichert werden. Darauf aber seien die Ermittler ganz besonders angewiesen, so Dirk Peglow vom Bund Deutscher Kriminalbeamter gegenüber dem ZDF als Reaktion auf die Entscheidung heute.
Sollen die Informationen dagegen genutzt werden, um beispielsweise Terroranschläge zu verhindern, das heißt, um die die sogenannte "nationale Sicherheit" zu schützen, ist zwar auch die allgemeine und präventive Speicherung von Telefondaten für eine begrenzte Zeit erlaubt. Allerdings muss die dafür notwendige Bedrohungslage vorher von einem Gericht oder einer unabhängigen Verwaltungsstelle festgestellt werden.
Nun ist die Politik gefragt
Diese Ausnahmen sind jedoch nicht mehr das, was klassischerweise mit dem Begriff Vorratsdatenspeicherung gemeint war. Durch die Ausnahmen wurde das Gesetz gewissermaßen ausgehöhlt – es ist rechtlich deutlich weniger möglich, als ursprünglich politisch gewollt war.
Die Politik muss sich jetzt überlegen, wie sie mit den Vorgaben des EuGH umgeht und ob sie einen weiteren Versuch startet, eine unionsrechtskonforme Regelung zu schaffen. Eine Möglichkeit, die schon vor der Entscheidung aus Luxemburg diskutiert wurde, ist das sogenannte "Quick-Freeze-Verfahren".
Bei diesem Verfahren werden bei konkreten Anhaltspunkten für Straftaten Informationen vorsorglich für einen beschränkten Zeitraum gesichert – die Auswertung darf allerdings nur mit richterlichem Beschluss erfolgen. Ob und wie die Politik jetzt handelt, bleibt abzuwarten.
Anne Stein ist Rechtsreferendarin in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.