Misbah Khan: "Mehr Überwachung schafft keine Sicherheit"

    Interview

    Sorge vor Terroranschlägen:Khan: Mehr Überwachung erhöht Sicherheit nicht

    |

    Um islamistische Terrorakte zu verhindern, fordert die Union mehr Befugnisse für Sicherheitsbehörden. Misbah Khan, Innenexpertin bei den Grünen, setzt dagegen auf mehr Prävention.

    Polizisten beim einer Schießübung
    Großereignisse wie die EM sind für Behörden eine große Herausforderung: Bedrohungen kommen aus verschiedenen Richtungen. Doch wie gut sind wir darauf vorbereitet?12.06.2024 | 11:42 min
    ZDF: Anlässlich der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland werden mehr Befugnisse für Sicherheitsbehörden gefordert. Christoph de Vries (CDU) fordert, man müsse auch biometrische Gesichtserkennung in Deutschland einsetzen. Was entgegnen Sie dem?
    Misbah Khan: Die Konsequenz einer Massenüberwachung ist, dass unbescholtene Menschen unter Generalverdacht stehen. Das halte ich für nicht tragbar. Die Vorstellung, so mehr Sicherheit zu bekommen, teile ich nicht.

    Misbah Khan
    Quelle: Nils Leon Brauer

    ... trat 2008 Bündnis 90/Die Grünen bei. Die Politikwissenschaftlerin und Abgeordnete im Bundestag ist dort Mitglied im Ausschuss für Inneres und Heimat und im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.
    Quelle: Deutscher Bundestag.

    Zum Beispiel sind in London im öffentlichen Raum zwischen einer halben und einer Million Kameras installiert.

    Es lässt sich erstens statistisch nicht belegen, dass es einen Zusammenhang zwischen massiver Videoüberwachung und mehr Sicherheit gibt.

    Und zweitens können wir nicht davon ausgehen, dass gewalttätige Einzeltäter sich von mehr Kameras abschrecken lassen.
    ZDF: Der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU) würde gerne Künstliche Intelligenz zur Terrorbekämpfung einsetzen und argumentiert, dass das allgemeine Sicherheitsinteresse der Bevölkerung über dem Datenschutz und den Bürgerrechte der Verdächtigen steht. Wie stehen Sie dazu?
    Die Bundespolizei kontrolliert den Einreiseverkehr am deutsch-tschechischen Grenzübergang Furth im Wald
    Die Bundespolizei kann wegen der Fußball-EM bis zum 19. Juli alle deutschen Grenzen kontrollieren. Damit will sich das Innenministerium gegen terroristische Bedrohungen wappnen.07.06.2024 | 0:22 min
    Khan: Bevor wir über den Einsatz von KI diskutieren, sollten wir über andere Maßnahmen sprechen: Wie gehen wir damit um, dass Haftbefehle zu langsam umgesetzt werden? Wie sorgen wir dafür, dass Waffen schwerer zugänglich für Verfassungsfeinde sind? Wie schaffen wir Prävention, bevor sich Menschen radikalisieren? Wie sind unsere Justiz und Polizei ausgestattet? Das hilft alles viel mehr als die schnelle Forderung nach dem Einsatz von KI.
    ZDF: Apropos Ausstattung - die Gewerkschaft der Bundespolizei fordert moderne Distanzwaffen, so wie sie auch bei vielen Landespolizeien im Einsatz sind. Sind bessere Waffen ein Teil der Lösung für mehr innere Sicherheit?
    Khan: Grundsätzlich muss die Polizei gut ausgestattet sein, aber der Fokus muss politisch weniger bei der Symptombekämpfung liegen. Bevor Menschen sich radikalisieren, müssen wir präventiv ansetzen.
    German Interior Minister Faeser attends a press conference on the EURO 2024, in Berlin
    Bundesinnenministerin Faeser hat die Gewährleistung der Sicherheit während der Fußball-EM als "großen Kraftakt" gegen alle möglichen Arten der Bedrohung bezeichnet.04.06.2024 | 2:19 min
    ZDF: Wie wollen Sie denn präventiv gegen potenzielle Täter vorgehen, die wie der mutmaßliche IS-Unterstützer am 7. Juni hier einreisen? Die erreichen Sie doch mit Prävention gar nicht.
    Khan: Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass Terroristen illegal nach Deutschland einreisen, hier einen Anschlag verüben und illegal wieder ausreisen. Das ist statistisch nicht belegbar.

    Diejenigen, die Terroranschläge ausüben, sind meistens Inländer mit legalem Aufenthaltsstatus, die sich in Deutschland radikalisieren, oder deutsche Rechtsextremisten und Reichsbürger.

    Deshalb ist Prävention der effektivste Weg.
    Wie sicher wird die EM?
    Die Polizei und andere Sicherheitskräfte haben über 100 gefährliche Szenarien durchgespielt und setzt auf Video-Überwachung.13.06.2024 | 1:44 min
    ZDF frontal: Die Forderungen nach mehr Befugnissen für Sicherheitsbehörden werden ja so begründet, dass in Deutschland viele Terroranschläge nur verhindert werden, weil ausländische, befreundete Nachrichtendienste deutschen Behörden einen Hinweis gaben. Wenn man eine Ausweitung der Befugnisse aber ablehnt, bedeutet das, sich auf Erkenntnisse zu verlassen, die andere Nachrichtendienste mit Mitteln erlangt haben, deren Einsatz hierzulande verboten ist. Ist das nicht widersprüchlich?
    Khan: In einem Rechtsstaat finde ich es wichtig, nur mit dem zu arbeiten, was vom Grundgesetz gedeckt ist.

    Wir gewinnen nicht gegen den Terror, indem wir unsere Freiheiten aufgeben.

    Es ist das Ziel von Terroristen, die Art und Weise, wie wir leben, anzugreifen. Wenn wir diese Freiheit von allein einschränken, dann finde ich das problematisch.
    Es ist ein hohes Gut, dass wir in Freiheit ohne Massenüberwachung leben können. Klar sollte auch sein: Kriminelle werden immer Wege finden, Überwachungssysteme zu umgehen.
    Das Interview führte Anne Herzlieb aus der ZDF- Redaktion "frontal".

    Mehr über innere Sicherheit