Darna-Helfer: "Keine Naturkatastrophe - das war schlimmer"

    Interview

    Helfer im libyschen Darna:"Keine Naturkatastrophe - das war schlimmer"

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    Auch zwei Wochen nach den Überschwemmungen in Libyen fehlt es den Überlebenden an Unterstützung. Ein Helfer berichtet über die Lage in der besonders schwer getroffenen Stadt Darna.

    Hassan Benacer geht mit seinem Sohn zu ihrem Haus in Darna, um zu überprüfen und zu reinigen. (Archivbild)
    In der Hafenstadt Darna brachen in der Sturmnacht zwei Staudämme - durch die Wucht der Flut wurden viele Häuser ins Meer gespült.
    Quelle: Reuters

    Am 11. September hatte Sturm "Daniel" schwere Überschwemmungen im Osten Libyens ausgelöst. Nach starken Regenfällen brachen in der Nähe der Hafenstadt Darna, die damals noch rund 100.000 Einwohner hatte, zwei Staudämme. Von den Fluten wurden ganze Stadtviertel ins Meer gespült. Örtliche Behörden gehen von bis zu 20.000 Toten aus.
    Mindestens einer der gebrochenen Dämme soll laut Experten mit minderwertigen Materialien gebaut worden sein. Eine ohnehin schon verheerende Naturkatastrophe scheint also auf menschliches Versagen gestoßen zu sein.
    Auch mehr als zwei Wochen danach herrscht in Darna Ausnahmezustand. Viele Menschen helfen, wo sie können. Einer von ihnen ist Awad Alshalwy, ein Englischlehrer an der Universität Omar Al-Mukhtar, der ursprünglich aus der kleinen Stadt Martouba, rund 25 Kilometer südöstlich von Darna, kommt.
    ZDFheute: Al-Mukhtar, gab es auch in Ihrer Heimatstadt Martouba Überschwemmungen?
    Awad Alshalwy: Es gab ein paar materielle Schäden durch das Unwetter. Aber in meiner Heimatstadt gibt es keinen Staudamm und vor allem keinen Staudamm, der gebrochen ist. Wenn die Staudämme nahe Darna funktioniert hätten, dann wäre in Darna das Gleiche passiert, was in vielen anderen Städten in Libyen durch das Unwetter passiert ist.

    Denn auch andere Städte wurden beschädigt und auch in diesen Städten sind Menschen gestorben. Sie haben ihr Leben verloren, in einer Naturkatastrophe, auf die sie nicht vorbereitet waren.

    Dabei handelt es sich aber nicht um die gleiche Anzahl von Menschen wie in Darna. Denn in diesen anderen Städten haben vielleicht 20 Menschen ihr Leben verloren, die auch sehr vermisst werden und sehr geliebt waren. In Darna sind aber 20.000 Menschen gestorben. Das war keine Naturkatastrophe, das war schlimmer.
    Wenn nicht einige leichtsinnige Entscheidungen getroffen worden wären, dann wäre die Situation in Darna jetzt genauso wie in meiner Heimatstadt Martouba.
    ZDFheute: Wie sieht ein Tag in Ihrem Leben momentan aus?
    Alshalwy: Jeder Tag ist gerade anders. Ich kann mich nicht wirklich an eine Routine halten, aber ich versuche zu schlafen. Ich übernachte bei einem Freund in Darna und tagsüber helfe ich bei Übersetzungen für alle, die Übersetzung benötigen, und schreibe Berichte für den Roten Halbmond und andere Organisationen.
    Außerdem verbringe ich viel Zeit mit den Kindern und den Familien, die ihr Zuhause verloren haben, und versuche, sie aufzumuntern. Und ich bin auch oft am Telefon, um die Leute zu erreichen, die helfen können.
    ZDFheute: Wie ist die Situation in Darna momentan?
    Alshalwy: Die Menschen haben Angst, dass das Wasser verunreinigt sein könnte, und das ist ein großes Problem. Denn wenn die Menschen Angst vor dem Wasser haben, werden sie Darna verlassen.
    Sie werden in andere Orte auswandern, die nicht noch mehr Menschen aufnehmen können. Die Situation in Darna, vor allem in Bezug aufs Wasser, muss deshalb so schnell wie möglich verbessert werden, damit die Menschen nicht weggehen.
    ZDFheute: Wird die Hilfe jetzt, mehr als zwei Wochen nach der Katastrophe, weniger?
    Alshalwy: Ja, es wird weniger, aber das ist normal. Es gibt trotzdem noch immer viele Helfer aus der ganzen Welt. Auch die Menschen aus Darna, die überlebt haben, versuchen, sich beschäftigt zu halten, indem sie helfen. Das ist großartig und hält sie davon ab, zu viel nachzudenken. Die Menschen aus allen Teilen Libyens sind endlich vereint und helfen Hand in Hand.
    ZDFheute: Viele Straßen und Brücken in Darna wurden zerstört. Wie bewegen Sie und die anderen Helfer sich?
    Alshalwy: Die östlichen und westlichen Teile der Stadt wurden kaum beschädigt. Dort kann man sich bewegen, dort kann man helfen. Aber wenn man in die beschädigten Teile der Stadt gehen möchte, dann ist es wirklich schwierig.
    Für die Such- und Rettungsteams gibt es dort jetzt aber auch nicht mehr viel zu tun. Soweit ich weiß, haben sie ihre Mission abgeschlossen und alle Vermissten wurden für tot erklärt. Denn es ergibt jetzt für sie einfach keinen Sinn mehr, noch irgendjemandem suchen oder retten zu wollen. Trotzdem tun sie immer noch sehr viel, denn es werden weiterhin viele Leichen angespült und es finden ständig Beerdigungen statt.
    ZDFheute: Welche Hilfe wird jetzt benötigt?
    Die Priorität liegt darin, den Menschen, die ihr Zuhause verloren haben, zu helfen, sich an einem Ort niederzulassen, der kein Lagerhaus ist. Denn wie diese Menschen jetzt leben, ist einfach sehr, sehr schwierig.
    Außerdem muss die Versorgung von Darna mit Wasser, Strom und Internet sowie dem Telefonnetzwerk wiederhergestellt werden - und zwar so, dass sie besser funktioniert als zuvor. Und danach werden wir uns dem Wiederaufbau widmen.
    Das Interview führte Alice Pesavento.
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