Hinrichtungen mit Stickstoff:Wenn US-Staaten mit dem Tod experimentieren
von Maybrit Nolte, Washington D.C.
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Gift, Gas oder Pistole: In einigen US-Staaten wird gerade eine makabere Debatte geführt. Weil zu viele Hinrichtungen fehlschlugen, sollen Verurteilte mit Stickstoff getötet werden.
Fußfesseln im US-Staatsgefängnis in Oregon: Zum Tode verurteilte Menschen liegen teilweise stundenlang gefesselt im Hinrichtungsraum, bevor das Urteil vollstreckt wird.
Quelle: Rick Bowmer/dapd
Vier Stunden lang lag Kenneth S. gefesselt auf einer Trage. Während die Henker daran scheiterten einen Zugang für die tödliche Injektion zu legen, stritten Justizbeamte um den Zeitpunkt seiner Hinrichtung. Dann ließ man ihn auf der Liege angeschnallt zurück, ohne ihn wissen zu lassen, dass er nicht hingerichtet würde. Zumindest nicht in dieser Nacht im November 2022. Denn der 58-Jährige soll schon bald als Testobjekt für eine neue Tötungsmethode herhalten.
Engpässe bei Chemikalien für die Giftspritze
Die "verpfuschte" Hinrichtung via Injektion von Kenneth S. ist kein Einzelfall, so beschreibt es die Geschäftsführerin des "Death Penalty Information Center" (in Washington D.C.) Robin Maher: Sieben der 20 Hinrichtungsversuche im vergangenen Jahr seien offensichtlich problematisch. Das liege vor allem daran, dass eine der drei Zutaten für die ursprüngliche Rezeptur des Giftcocktails kaum noch erhältlich ist.
Arzneimittelhersteller in den USA und Europa haben die Verwendung ihrer Chemikalien für Hinrichtungen verboten, mit der Begründung, sie seien dazu gedacht, Leben zu retten und nicht zu nehmen. Um dieses Vakuum zu füllen, experimentierten einige US-Bundesstaaten mit anderen Wirkstoffen, die mehr oder weniger gut funktionierten und zusammen mit der unzureichenden Ausbildung von Henkern häufig zu verpfuschten Hinrichtungen führten.
Hinrichtungen werden nicht nur in den USA praktiziert. In Saudi-Arabien hat sich die Anzahl im letzten Jahr verdreifacht, wie Amnesty International anprangert.16.05.2023 | 5:17 min
Alabama: Hinrichtung mit Stickstoffgas
Der Bundesstaat Alabama im Süden der USA will deshalb eine ganz neue Methode ausprobieren und die Gefangenen ersticken. Was an Vergasen erinnert, soll in der Praxis mithilfe einer Maske umgesetzt werden, durch die Verurteilte Stickstoff einatmen, der dann den lebensnotwendigen Sauerstoff im Körper ersetzt.
Es gibt auch keinerlei Erfahrungswerte, wie schnell der Stickstoff wirkt oder ob die Gefangenen leiden werden. Trotzdem haben neben Alabama nun auch Oklahoma und Mississippi die Hinrichtung mit Stickstoffgas genehmigt.
Erschießungskommandos und Elektroschock wieder im Einsatz
Von der Erstickung erhoffe man sich eine "saubere" und "friedliche" Hinrichtung - das ursprüngliche Ziel der Giftspritze. Im Kontrast dazu stehen Erschießungskommandos, die der Bundesstaat Idaho im Norden der USA jüngst als Alternative zur Injektion erlaubt hat.
In South Carolina ist der Elektrische Stuhl wieder zur offiziellen Hinrichtungsmethode geworden.
Todesstrafe: Weiter große Unterstützung in den USA
Laut Amnesty International haben die USA 2022 die fünftmeisten Hinrichtungen nach China, Iran, Saudi-Arabien und Ägypten vollzogen. Die Zahl der Hinrichtungen in den Vereinigten Staaten ist allerdings seit Jahren rückläufig. Auf dem Papier gibt es die Todesstrafe noch in 27 Staaten, aber nur fünf haben sie in diesem Jahr angewandt.
Auch die Zustimmung in der Bevölkerung sinkt, trotzdem befürworten immer noch 53 Prozent der US-Bürger die Todesstrafe für verurteilte Mörder, so eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup. Die Argumente auf beiden Seiten seien moralischer und religiöser Natur, so Maher. Einige glauben die Todesstrafe eigne sich um weitere Verbrechen zu vermeiden, andere argumentieren sie sei rassistisch und benachteilige arme Menschen.
Kenneth S. ist eine von zwei Personen, die eine Hinrichtung in den USA überlebt haben. Laut Staatsanwaltschaft wurde er wegen eines Auftragsmordes zum Tode verurteilt, für den er 1.000 US-Dollar bekam. Seit 34 Jahren sitzt er im Todestrakt. Das Mordopfer war eine Frau, Auftraggeber ihr Mann der Versicherungsgelder abgreifen wollte. Im Januar 2024 soll Kenneth S. das zweite Mal hingerichtet werden, dieser Versuch mit Stickstoff. Wie lang er diesmal auf den Tod warten wird, scheint niemand mit Sicherheit sagen zu können, eingeplant sind laut Protokoll 32 Stunden.
Die Todesstrafe gibt es in den USA heute noch beim Militär, auf Bundesebene sowie in 27 Bundesstaaten, wobei sie in mehreren dieser Staaten de facto nicht mehr vollstreckt wird. Die zugelassenen Methoden variieren von Bundesstaat zu Bundesstaat. Die mit Abstand am häufigsten angewandte Methode ist heutzutage die Exekution mit der Giftspritze. Stickstoffhypoxie ist außer in Alabama nur in den Bundesstaaten Oklahoma und Mississippi erlaubt.
Quelle: dpa, Death Penalty Information Center
- Seit 1976 gab es insgesamt 1.579 Hinrichtungen, davon bislang 24 im Jahr 2023 (Stand Januar 2024)
- 2.330 Gefangene sitzen in den USA im Todestrakt (Stand Januar 2024)
- 72 Prozent der im Jahr 2022 hingerichteten Gefangenen wiesen eine erhebliche psychische Beeinträchtigung auf
- Die Todesstrafe kann wegen Mord, Hochverrat, Völkermord oder der Tötung oder Entführung einer Person in einem hohen politischen Amt verhängt werden
- Wer die Todesstrafe bekommt, entscheiden die Geschworenen eines Gerichts; dabei können verschiedene Faktoren eine Rolle spielen wie das Leiden des Opfers, ein sexueller Übergriff, oder wer das Opfer ist, z.B. Polizeibeamter oder kleines Kind
- Studien belegen, dass auch die Hautfarbe eine Rolle spielt: die Chance zur Todesstrafe verurteilt zu werden ist höher, wenn der Schuldige schwarz und das Opfer weiß ist
- Gerichtsfälle, in denen die Todesstrafe verhängt wurde, sind durchschnittlich etwa 700.000 Dollar teurer, als Verfahren ohne Todesstrafe
Quelle: dpa, Death Penalty Information Center