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Hetze, Prügeleien, Drohungen:Slowakei: Wahlkampf mit harten Bandagen
von Britta Hilpert
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Der Wahlkampf in der Slowakei ist in vollem Gange, geprägt von Hetze und sogar Handgreiflichkeiten. Jungwähler schreckt das ab - dabei geht es um ihre Zukunft, meint eine Kampagne.
Werden auch schon mal handgreiflich: Ex-Premier Matovič und Ex-Minister Kalinak (rechts).
Quelle: Reuters
So eine Szene vermutet man auf einem Schulhof, nicht aber auf einer Wahlkampf-Kundgebung: Ein Ex-Premier und ein Ex-Innenminister prügeln sich um ein Megafon. Ex-Premier Matovič schreit "Kalinak Mafiosi!" ins Mikro, Ex-Minister Kalinak schubst und grabscht mit wutverzerrtem Gesicht nach dem politischen Konkurrenten. Am Ende muss die Polizei die beiden trennen.
Das ist Wahlkampf in der Slowakei, und es kann nicht wundern, dass er abschreckt, vor allem die Jüngeren: Im April 2023 gaben nur 52 Prozent der unter 25-Jährigen an, überhaupt zu den Wahlen gehen zu wollen. Insgesamt lag die Quote bei 67 Prozent.
Und viele von ihnen stimmen stattdessen mit den Füßen ab: Bessere Löhne, bessere Ausbildungsmöglichkeiten locken die jungen Leute ins Ausland, so Umfragen, aber ebenso vertreibt sie die politische Lage zu Hause.
Am 30. September wird in der Slowakei ein neues Parlament gewählt. Viele junge Slowaken sind allerdings unschlüssig, ob sich der Gang zur Urne überhaupt lohnt. 14.09.2023 | 2:18 min
Kampagne "Ich will hierbleiben, also wähle ich" soll junge Menschen erreichen
Eine Kampagne will das ändern: "Ich will hierbleiben, also wähle ich" heißt sie und hat unter anderem den slowakischen Oliver Welke für sich begeistert: Jakub Gulík moderiert "Ťažký týždeň" - "schwere Woche" und er bringt seine Generation zum Lachen, wenn er Wahlen ironisch gleichsetzt mit den populärsten Verschwörungstheorien:
Jakub Gulík hofft, dass die Kampagne auf Social Media und im realen Leben, mit Diskussionsforen und Konzerten, etwas ändert. Er kann die Wahlskepsis verstehen, denn bei den letzten Wahlen war die Hoffnung so groß, erzählt er, "aber dann lief alles, eben so wie es lief". Und das war für ein so kleines Land eine Menge.
Mord an Journalist löst Demonstrationen in der Slowakei aus
2018 wurden der Investigativjournalist Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnirova in ihrem Haus erschossen. Es war der zweite Journalistenmord in der EU, und der erste in der modernen Slowakei. Das Land war geschockt.
Der damalige Premier Fico und sein Innenminister Kalinak ließen eine Million Eurobündel auf einen Tisch aufschichten und boten den Haufen Geld als Belohnung an für Hinweise zur Aufklärung. Keiner nahm ihnen das ab.
Zehntausende Menschen forderten damals in Bratislava den Rücktritt des Polizeichefs.16.04.2018 | 0:19 min
Der Mord am Enthüllungsjournalisten Ján Kuciak und seiner Partnerin löste 2018 Proteste aus:
Tausende demonstrierten wochenlang gegen die Regierung, denn Spuren führten bis in ihre Kreise. Fico trat zurück. Bei den Wahlen 2020 wählten die Slowaken einen politischen Quereinsteiger und selbsternannten Korruptionsjäger.
Dessen Regierungskoalition war allerdings geprägt von Populismus und Chaos, hinzu kamen Pandemie und Krieg gegen die Ukraine. Nach Dutzenden Rücktritten ernannte Präsidentin Čaputová kürzlich eine ungewählte Experten-Regierung.
Heute ist die Slowakei gespalten, wenn es um den Krieg in der Ukraine geht: Pro-russische und nationalistische Stimmungen werden von Ficos Smer und seinen potentiellen Koalitionspartnern am rechten Rand bedient und er hat wieder die besten Chancen, zum vierten Mal Premier zu werden.
Slowakische Präsidentin Ziel von Attacken durch Smer-Mitglieder
Präsidentin Čaputová hat Robert Fico nun verklagt wegen "grober Lügen und erfundenen Anschuldigungen, die er ständig über sie verbreitet", so der Präsidentenpalast.
Fico und weitere Smer-Mitglieder sprechen über Čaputová schon länger als "amerikanische Agentin" und sagen, dass sie ausländische Interessen verteidige statt slowakischer und sie von der amerikanischen Botschaft geleitet werde. Nachdem sie wegen Morddrohungen gegen sich und ihre Familie verhört worden war, schrieb die Präsidentin schon Anfang Mai auf Facebook:
Sie meint, dass solche Drohungen auch durch Ficos Behauptungen geschürt werden könnten, wie die, dass die Präsidentin von der amerikanischen Botschaft beeinflusst werde.
Der slowakische Vizeregierungschef Peter Pellegrini sollte damals Nachfolger von Regierungschef Robert Fico werden.15.03.2018 | 0:21 min
2018 bot der damalige Regierungschef Robert Fico seinen Rücktritt an:
Fico: EU fährt "vollkommen in den Spuren der USA"
Im Interview mit dem ZDF, kurz vor Bekanntwerden der Klage, formuliert es Robert Fico weiter gefasst so: "Wenn es um die Sanktionen und die Ukraine geht, sind wir der Meinung, dass die Europäische Union keine eigene Außenpolitik hat und vollkommen in den Spuren der USA fährt."
Fico fischt mit solchen Parolen erfolgreich im Pool der älteren, eher Russland-freundlichen Wähler. Gulík befürchtet, dass das gerade für die Jungen, die die EU und die Nato schätzen gelernt haben, zum Problem werden kann: "Bei uns ist die Stimmung 50/50, die Hälfte ist prorussisch. Die Politiker sind auch so und unsere außenpolitische Orientierung kann sich also ändern."
Damit würde man sich überflüssig selbst schaden, erklärt Gulík.
Interesse von Jüngeren an der Wahl steigt
Inzwischen zeigen Umfragen, dass das Interesse der Jüngeren an den Wahlen steigt, um 16 Prozentpunkte. Vielleicht wegen der Kampagne, vielleicht aber auch, weil immer mehr verstehen, dass es eine Richtungswahl wird, nicht nur für die Slowakei.
Das kleine Land liegt an der ukrainischen Grenze, es hat dem angegriffenen Nachbarn früh und viel geholfen, sogar seine Kampfflugzeuge dorthin abgegeben. Fico hingegen schließt bei einem Wahlsieg neuerliche Waffenlieferungen an die Ukraine aus.
Kurz nach Ausbruch des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine flohen viele Menschen in die Slowakei:
Jungwähler aufgerufen, ihre Meinung bei der Wahl zu äußern
Eine der Initiatorinnen der Kampagne "Ich will hier bleiben, also wähle ich", Katarína Batková, sieht die Jungwähler in besonderer Verantwortung: "Die jungen Leute nehmen die Slowakei anders wahr als ältere. Sie sehen es mehr pro-demokratisch, sie sehen internationale Strukturen, wie EU und Nato, positiver."
Wichtig für die Slowakei, und wichtig für die ganze EU.
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