Mysteriöser Tunnel: Montenegro im Griff krimineller Clans

    Mysteriöser Tunnel im Gericht:Montenegro: Im Griff der Kriminellen Clans

    von Emina Mujagić
    |

    Ein spektakulärer Tunnelbau: Kriminelle verschafften sich unterirdisch Zugang zu einer Asservatenkammer, in der Beweise für Straftaten lagern. Zufall, dass das unentdeckt blieb?

    Ein Loch in der Wand des Gerichtsdepots mit beschlagnahmten Drogen und anderen Kriminalitätsbeweisen am Obergericht in Montenegro.
    Am 12. September wurde ein Tunnel entedeckt, der direkt zum Gerichtsdepot führt.
    Quelle: epa

    Es ist ein Anblick, der staunen lässt: In der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica haben sechs Unbekannte einen Tunnel in die Lagerräume des Obergerichts gegraben.
    Genauer gesagt - in die Asservatenkammer, wo unter anderem Beweisstücke für laufende Verfahren gelagert werden. Was alles entwendet wurde, ist zur Zeit noch nicht schlüssig. Derzeit ist die Rede von insgesamt neunzehn Schusswaffen. Aber man sei noch in der Auswertung, auch was beschlagnahmte Drogen betrifft.

    EU-Beitrittskandidat Montenegro in Erklärungsnot

    Keiner will den Tunnelbau gehört haben, widersprüchliche Angaben zu den Umständen - das wirft kein gutes Licht auf den EU-Beitrittskandidaten. Montenegro ist bekannt für Korruption, organisierte Kriminalität und Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit.
    Auf dem Korruptionsindex 2022 von Transparency International steht Montenegro auf Platz 65 von 180. Befeuert wurden diese Defizite auch durch Dauerregent Milo Đukanović, dem man eine große Nähe zur organisierten Kriminalität nachsagt. 30 Jahre lang hatte er in wechselnden Funktionen die Politik in Montenegro bestimmt. Seine Herrschaft war immer wieder von Korruption, Vetternwirtschaft und Nähe zum organisierten Verbrechen überschattet.

    Der Neue will es besser machen

    Sein Nachfolger - Jakov Milatović - hat sich den Kampf gegen Korruption bereits auf die Fahnen geschrieben und den Bürger*innen von Montenegro einen höheren Lebensstandard versprochen.

    Innerhalb der nächsten fünf Jahre werden wir Montenegro in die Europäische Union führen.

    Jakov Milatović, Präsident von Montenegro

    Das Musterland der Mafia

    Der Westbalkan-Staat gilt seit den 90er Jahren als Knotenpunkt für den Zigaretten- und Drogenschmuggel. Auch Politik und Behörden werden immer wieder der Verwicklungen verdächtigt: Wegen Vorwürfen, einen groß angelegten Zigarettenschmuggel über die Adria organisiert zu haben, hatte der damalige Regierungschef Đukanović 2008 vor der italienischen Staatsanwaltschaft ausgesagt. Doch die Ermittlungen verliefen im Sand.

    Kriminelle Netzwerke sind gut gefestigt und hochentwickelt und arbeiten oft mit mafia-ähnlichen Gruppen sowie mit korrupten Strafverfolgungsbehörden und Politikern zusammen.

    Global Organized Crime Index, 2021

    Vor dem Obergericht in Podgorica laufen derzeit mehrere Prozesse. Am meisten Aufsehen erregte dabei das Verfahren gegen Slobodan Kašćelan. Er soll der Chef der sogenannten Kavac-Drogenbande sein.

    Blutiger Clan-Krieg

    Diese führen seit 2014 einen blutigen Krieg gegen den rivalisierenden Škaljari-Clan. Die beiden Drogenfamilien stammen aus Nachbardörfern in der Nähe der montenegrinischen Kleinstadt Kotor.
    Das Belgrader Recherche-Netzwerk Kirk und Radio Free Europe haben in den vergangenen zehn Jahren 193 Mordfälle im serbisch-montenegrinischem Mafiamileu gezählt. Allein in den blutigen Auseinandersetzungen zwischen dem Kavac - und Škaljari-Clan kamen über 60 Mafiosi um.

    Tunnel als Symbolbild

    Man werde das Land nicht der Mafia überlassen, betonte der Ministerpräsident Dritan Abazović. Doch beim Obergericht in Podgorica haben sie es sprichwörtlich untergraben.
    In der lokalen Berichterstattung gibt es viel Spott und Kritik. Der mysteriöse Tunnel sei ein Symbolbild für die undurchsichtige Arbeit der Politiker*innen und Behörden. Bereits 2016 wurde ein Büro des Bezirksgerichts von Podgorica in Brand gesteckt und 200 Prozessunterlagen zerstört. Die Täter wurden nie gefunden. Montenegro hat noch viel zu tun, um als Rechtsstaat ernst genommen zu werden.