Italien streicht Bürgergeld: Mit spürbaren Auswirkungen
Italien streicht Bürgergeld:Wie Meloni den Armen an den Kragen geht
von Jonas Grethel und Annette Hilsenbeck , Rom
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Italiens rechte Regierung macht ernst und schafft das sogenannte Bürgergeld ab - die Sozialhilfe für Menschen ohne Arbeit. Die Folgen sind schon jetzt spürbar.
Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bei einer Podiumsdiskussion. ( Archiv)
Quelle: Reuters
Pasta im Angebot: Das hat Lorenzo Barone sofort im Blick. "Ich kaufe die immer, um Geld zu sparen. Aber so können meine Kinder essen", sagt er. 780 Euro Sozialhilfe, sogenanntes Bürgergeld, erhält er monatlich für sich und seine Familie - bisher. Bald ist damit Schluss: Das Bürgergeld wird für viele abgeschafft.
Verzweiflung in Bacoli groß
Seitdem ist im Städtchen Bacoli, wenige Kilometer von Neapel entfernt, die Verzweiflung groß. Rund jeder sechste Bewohner hat hier bisher direkt oder indirekt vom Bürgergeld gelebt, viele Menschen sind abhängig von der staatlichen Unterstützung. Der 49-jährige Lorenzo Barone lebte in schwierigen Verhältnissen, bevor er Bürgergeld bekam: "Wir mussten immer herumlavieren, wir haben schwarz gearbeitet. Bevor ich Bürgergeld bekam, habe ich als illegaler Parkwächter gearbeitet." Ohne Bürgergeld weiß er nicht weiter:
Wenn sie uns das Bürgergeld wegnehmen, sind wir am Ende. Es wird wirklich das Ende sein.
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Lorenzo Barone, Bewohner von Bacoli
Italiens Ministerpräsidentin Meloni will die Sozialhilfe streichen, das sogenannte Bürgergeld. Betroffene leben am Limit, verstärkt durch Inflation und mangelnde Arbeitsangebote.01.11.2023 | 6:40 min
Der Bürgermeister von Bacoli, Josi Gerardo Della Ragione, formuliert es noch drastischer: "Die soziale Bombe, die ausgelöst werden kann durch Familien, die früher in der Lage waren, das Essen auf den Tisch zu stellen und das heute nicht mehr sind, ist real. Sie existiert und kann explodieren. Und es wird Schaden entstehen - darunter werden alle Gemeinden Italiens leiden."
Meloni erhofft sich Einsparungen in Milliardenhöhe
Italiens ultrarechte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bleibt hart in der Sache: "Ein gerechter Staat kann nicht diejenigen, die arbeiten können, auf die gleiche Ebene stellen wie diejenigen, die es nicht können", so ihre Argumentation.
Ab nächstem Jahr sollen nur noch Haushalte mit Menschen über 60 oder mit Behinderungen sowie solche mit minderjährigen Kindern eine sogenannte "Eingliederungsbeihilfe" von maximal 500 Euro monatlich erhalten. Alle anderen gelten als "arbeitsfähig".
Meloni hatte die Wahl 2022 auch dank ihrer scharfen Haltung in gesellschafts- und sozialpolitischen Fragen gewonnen. Das Bürgergeld (auf italienisch "reddito di cittadinanza") hatte die populistische Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega 2019 eingeführt, um der Armut in Italien entgegenzuwirken - die Abschaffung ist auch eine politische Konfrontation.
Die Regierung erhofft sich Einsparungen in Milliardenhöhe, und dass die Beschäftigungsquote in Italien wieder steigt.
Wir wollen die Armen nicht in der Armut halten, wie es das Bürgergeld leider getan hat [...] der einzige Weg, den ich kenne, um aus diesem Zustand herauszukommen, ist die Arbeit.
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Giorgia Meloni, Minsterpräsidentin Italien
Italiens Bevölkerung bald ohne Mindestsicherungssystem?
Arbeiten gehen würde Lorenzo Barone aus Bacoli sehr gerne, allerdings sind Arbeitsplätze besonders im wirtschaftlich schwachen Süden Italiens rar - jedenfalls legale. Angeboten wird oftmals Schwarzarbeit zu einem entwürdigend niedrigen Lohn.
"Hier geht es uns immer schlechter und schlechter, wir fallen immer weiter zurück", sagt Barone. "Meloni sagt, es gibt Arbeit für alle, aber diese Arbeit gibt es hier nicht. Ich hätte gerne einen anständigen Job. [...] Aber die Fabriken und Betriebe, die es früher gab, sind heute alle geschlossen." Die Arbeitslosenquote war im Süden 2022 mit 14,6 Prozent fast dreimal so hoch wie im Norden des Landes (5,1 Prozent).
People react with police, during a demonstration against the abolition of basic income and blockade of the highway, in Naples, Italy, Monday, Aug. 28, 2023. (Alessandro Garofalo/LaPresse via AP); ITALY OUT; MANDATORY CREDIT
Quelle: AP
Auch Experten zweifeln an den Erfolgsaussichten des Bürgergeld-Stopps. "Ich glaube, dass dies nicht mehr Arbeitsplätze schaffen wird, sondern nur mehr Verzweiflung", sagt Enrica Morlicchio, eine der führenden Armutsforscherinnen in Italien.
Bei den Hilfsorganisationen ist die Zahl der Anträge, an der Verteilung von Lebensmittelpaketen teilzunehmen, um ein Drittel gestiegen. Italien wird mit der Abschaffung erneut zum einzigen Land in der Europäischen Union, das kein universelles Mindestsicherungssystem für die gesamte Bevölkerung hat.
Insgesamt 2,7 Millionen Italiener waren es, die im ersten Halbjahr 2023 Bürgergeld erhielten. 70 Prozent davon leben in den südlichen Regionen.
Bürgergeld: Spätestens 2024 ist Schluss
Lorenzo Barone hat noch eine Galgenfrist bis Ende des Jahres, weil er in einem Sozialprojekt der Gemeinde Bacoli aktiv ist, in dem die Stadt Parks, Plätze und Straßen sauber hält. Mindestens acht Stunden pro Woche unterstützen Sozialhilfebezieher hier ihre Gemeinden - eine "Gegenleistung" fürs Bürgergeld. "Das bedeutet für uns Würde. Arbeit ist Würde", sagt er.
Doch mit dem Bürgergeld werden nun auch diese Projekte gestrichen. Lorenzo Barone steht also ab Januar sowohl ohne Einkommen als auch ohne Beschäftigung da: "Es wird sehr schwierig, irgendwie weiterzumachen. Wir wissen nicht, was mit uns passiert."
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