Femizid in Bosnien und Herzegowina: Mord im Livestream

    Bosnien und Herzegowina:Wut und Entsetzen nach Mord im Livestream

    Britta Hilpert
    von Britta Hilpert
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    Ein grausamer Mord an einer Frau in Bosnien und Herzegowina wurde auf Instagram live übertragen. Das Land ist entsetzt über sich selbst und ein ungelöstes, brutales Problem.

    Gewalt in Bosnien
    Nach der Gewalttat mit drei Toten in der nordbosnischen Kleinstadt Gradacac schockieren neue Einzelheiten die Öffentlichkeit des Balkanlandes. 23.08.2023 | 2:24 min
    Es muss ein widerwärtiges Video gewesen sein und doch stiegen die Follower-Zahlen auf bis zu 15.000: In Gradačac in Bosnien und Herzegowina tötete ein Mann seine Ex-Partnerin und das vor laufender Kamera. Manche Follower trieben ihn dabei noch an. Manche drückten den "Like"-Button.
    Gewalt gegen Frauen gibt es leider überall. In Bosnien und Herzegowina aber ist sie weit akzeptiert: Von den rund 1,6 Millionen Frauen haben laut einer OSZE-Umfrage aus 2019 geschätzt 640.000 Gewalterfahrungen, also mehr als jede dritte Frau. Laut der Umfrage stimmen 74 Prozent der Menschen des Landes der Aussage zu: "Es ist wichtig für einen Mann seiner Partnerin zu zeigen, wer der Boss ist." Und 72 Prozent sind der Meinung "Häusliche Gewalt ist eine Privatangelegenheit und sollte innerhalb der Familie geregelt werden".

    Tat löst Demonstrationen aus

    Doch der Mord auf Instagram hat aufgeschreckt und treibt nun in Bosnien und Herzegowina vor allem Frauen auf die Straßen. "Man konnte jede Minute sehen, wie die Popularität des Mörders wuchs, wie Tausende Follower hinzukamen", beschreibt es Medina Mujic am Rande einer Demonstration und fragte: "Was sagt uns das über unsere Gesellschaft?" Und Aida Feraget zeigt sich entsetzt, dass diese Frau sterben musste, obwohl sie den Mann anzeigte:

    Die Frau hat Polizei und Staatsanwaltschaft um Hilfe gebeten, sie hat alles richtig gemacht und trotzdem wurde sie neben ihrem Baby getötet.

    Aida Feraget

    Gewalt gegen Frauen
    Nach einem brutalen Messerangriff auf eine 18-Jährige hat das Gericht den Täter laufen lassen. Daraufhin protestierten Tausende Menschen im ganzen Land gegen Gewalt gegen Frauen.15.08.2023 | 2:11 min
    Auch in Bulgarien hat ein Fall häuslicher Gewalt Tausende Menschen auf die Straße getrieben:
    Es dauerte drei Stunden, bis das Video von Instagram genommen wurde. In der Zeit erschoss der Täter noch zwei weitere Menschen und verletzte drei. Dann erschoss er sich selbst. Die schiere Gewalt entsetzt die Demonstrantinnen - und die Tatenlosigkeit der Behörden. Nur fünf Prozent der Frauen trauen sich überhaupt, ihren gewalttätigen Partner anzuzeigen, so die OSZE-Umfrage.
    Vielleicht auch, weil viele die Erfahrung machen müssen, dass die Polizei nicht hilft: "Meine Klientin zeigte ihren Ex-Mann bei der Polizei an", erzählt die Anwältin Jasmina Cero. "Sie zeigte seine SMS 'Hure', 'Schlampe' und eine, in der er ankündigt: 'Ich reiße dir die Haare aus!' Der Polizist sagte zu meiner Klientin: 'Oh, wir können nur etwas unternehmen, wenn er droht, Sie zu töten!'"

    Hauptstadt Sarajevo hat nur ein einziges Frauenhaus

    Und so kommt es, dass nach jeder Gewalttat bei Mubera Hodžić-Lemeše das Telefon heiß läuft: Sie leitet das einzige Frauenhaus in der Hauptstadt Sarajevo. Hier finden die Frauen Schutz, weil viele der Polizei nicht trauen. Ein neues Gesetz könnte helfen, meint Mubera Hodžić-Lemeše, mit härteren Strafen, klareren Definitionen, wie und wann Behörden eingreifen müssen.
    "Doch seit drei Jahren warten wir darauf, dass die Regierung das Gesetz verabschiedet. (...) Jetzt sind Polizei und Gerichte viel zu milde, Urteile oder Strafen werden oft zur Bewährung ausgesetzt. Das sendet die Message, dass der Gewalttäter sich weiter so verhalten kann", sagt sie.
    Ein Frauenhaus in Bosnien
    Das einzige Frauenhaus in Sarajevo.
    Quelle: ZDF

    Doch es dauert - vielleicht, weil in der Regierung manche selbst beschuldigt sind, Frauen zu prügeln. Und die Frauen schämen sich oft für die Gewalt gegen sie selbst und schweigen. Denn in Bosnien und Herzegowina sind 82 Prozent davon überzeugt, dass "Gewalt gegen Frauen oft vom Opfer provoziert wurde", so die OSZE-Umfrage.

    Um die Situation wirklich zu ändern, müssen wir die Mentalitäten ändern. (...) Das heißt: keine Kompromisse, null Toleranz für Gewalt!

    Vedrana Frašto, Aktivistin der CURE-Foundation

    Dafür wächst nun die Unterstützung, deshalb gehen immer mehr Frauen nicht nur in der Hauptstadt Sarajevo auf die Straße. Sogar im benachbarten Kroatien haben Frauen sich solidarisch gezeigt und demonstriert - auf dem zerrissenen Balkan eine ungewöhnliche Aktion.
    Demonstration in Bosnien
    Die Unterstützung wächst: eine Demonstration gegen Gewalt an Frauen.
    Quelle: ZDF

    Doch sie tut Not: Denn auch wenn der Instagram-Mord das ganze Land entsetzte, so gab es trotzdem weitere Gewalttaten. Am Sonntag erst tötete ein Mann bei Tuzla seine Frau und dann sich selbst.



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