Wegen Abtreibungsrecht: Unterwegs mit einer Vasektomieklinik
Unterwegs mit Sterilisationsbus:USA: Vasektomie statt Abtreibung
von Benjamin Daniel
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Seit es in den USA kein bundesweites Abtreibungsrecht mehr gibt, schnellen die Vasektomiezahlen nach oben. Ein Urologe bietet deshalb in einer mobilen Klinik Sterilisationen an.
Abzutreiben wird in den USA rechtlich immer schwieriger. Viele Männer entscheiden sich daher für eine Vasektomie. Wir sind unterwegs mit einem Urologen und seiner mobilen Klinik.07.06.2023 | 5:47 min
"Hupe, wenn Du eine Vasektomie hattest", steht auf dem Anhänger. Und tatsächlich: Alle paar Minuten erklingt eine Hupe, was den Mann hinterm Steuer jedes einzelne Mal zum Schmunzeln bringt. Esgar Guarin ist 45 Jahre alt, Urologe und stolzer Besitzer der einzigen mobilen Vasektomie-Klinik Amerikas.
Einmal im Monat geht er in seinem Bundesstaat Iowa auf Tour. Sein Ziel: Klar, Geld verdienen. Er möchte aber auch über das Thema Verhütung aufklären, erklärt er: "Frauen sind nur zwischen der Pubertät und der Menopause fruchtbar, also etwa bis zum 50. Lebensjahr. Der Eisprung ist nur an einem einzigen Tag im Monat."
Mobile Vasektomie an abgelegeneren Orten
Um dieses Erwachen weiter zu fördern, fährt der Arzt bewusst abgelegenere Orte an, in denen es weniger Bildung, aber auch weniger Vasektomie-Anbieter gibt.
Sein nächster Stopp: Die Kleinstadt Waterloo. Meist baut er seine Klinik auf zentral gelegenen Parkplätzen auf. Behörden und anliegende Firmen haben damit selten ein Problem.
Wie man einen umgebauten Camping-Wagen schwankungs-sicher aufbaut, musste der Urologe erst mal lernen. Lächelnd kommentiert er:
Gerichtshofbeschluss: Weniger Abtreibungen, mehr Vasektomien
An neue Umstände gewöhnen müssen sich zurzeit auch Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner, wenn es um das Thema Abtreibung geht. Nachdem der Oberste Gerichtshof vor gut einem Jahr das bundesweite Recht darauf gekippt hat, verschärfen mehr und mehr US-Staaten die Regeln.
Auch in Iowa ist das ein großes Thema. So wird der Supreme Court dort mutmaßlich bis Ende Juni darüber entscheiden, ob der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen deutlich erschwert wird.
Die Abtreibungs-Beschränkungen führen dazu, dass die Nachfrage nach Vasektomien stark steigt - im letzten Jahr laut Plant Parenthood landesweit um etwa ein Drittel. Dr. Guarin erklärt sich das wie folgt:
"Das ist der Grund, warum das Thema bei den letzten Zwischenwahlen das umstrittenste von allen war", so Guarin. "Denn es betrifft das grundlegende Recht eines Individuums, selbst zu entscheiden, wenn es um so etwas so Wichtiges geht wie ihre Fruchtbarkeit."
Mehr Verantwortung von Männern bei Verhütung
Auch Andrew und Kristin Kahler verfolgen die Diskussion seit Langem und finden, jede Frau sollte selbst entscheiden können. Unabhängig von dieser Debatte möchte der 35-Jährige heute eine Vasektomie vornehmen lassen.
Nach ihrem ersten Kind wollten die Kahlers ein Weiteres. Sie bekamen Zwillinge. Damit war die Familienplanung abgeschlossen. Andrew Kahler ist der Meinung: Männer sollten mehr Verantwortung übernehmen.
Dr. Guarin durchtrennt minimalinvasiv die Samenleiter. Der Eingriff dauert wenige Minuten. Währenddessen steigt bei Kristin Kahler schon die Vorfreude. Nach 18 Jahren kann sie endlich die Pille absetzen. Sie hatte ihrem Körper immer wieder Probleme bereitet. Erleichtert sagt sie:
Sterilisation zum halben Preis
Im Halbstundentakt trudeln die Patienten in der mobilen Klinik ein. 599 Dollar berechnet Dr. Guarin für den Eingriff - etwa die Hälfte der bundesweiten Durchschnittskosten für eine Vasektomie.
Dass die Regeln für Abtreibungen vielerorts strenger werden, hat Ashlinn und Jacob Babers Entscheidung, herzukommen, maßgeblich beeinflusst, führt Ashlinn aus:
"Vorher war das für uns nie wirklich ein großes Thema", sagt Baber. "Aber jetzt dachten wir auf einmal: 'Oh mein Gott, das könnte für uns echt ein Problem werden'. Also ja, das hat unsere Entscheidung stark beeinflusst."
Im Grundsatzurteil "Roe gegen Wade" (Roe versus Wade) entschied der Oberste Gerichtshof der USA am 22. Januar 1973, dass staatliche Gesetze, die Abtreibungen verbieten, gegen die US-Verfassung verstoßen. Seither sind in den meisten Bundesstaaten Schwangerschaftsabbrüche nahezu uneingeschränkt möglich.
Laut "Roe vs. Wade" darf eine Frau die Schwangerschaft bis zum Zeitpunkt der Lebensfähigkeit des Fötus abbrechen, die damals mit der 28., heute etwa mit der 24. Schwangerschaftswoche angesetzt wird. Nach dem dritten Schwangerschaftsmonat darf der Staat das Abtreibungsverfahren regulieren, aber nur soweit zum Schutz der Gesundheit der Frau nötig. "Roe vs. Wade" zählt zu den gesellschaftlich umstrittensten Entscheidungen in der Geschichte des Supreme Court, der damals unter Führung des Obersten Richters Warren E. Burger von einer liberalen Richtermehrheit geprägt war.
Die Bezeichnung geht auf den zum Schutz der Klägerin gewählten Alias-Namen "Jane Roe" zurück, in Anlehnung an den in den USA oft für nicht identifizierte Personen verwendeten Platzhalternamen "John Doe". Beklagter für den Staat Texas war der damalige Bezirksstaatsanwalt des Dallas County, Henry Wade.
Geklagt hatte die damals 22-jährige Texanerin Norma McCorvey, die ihre ersten beiden Kinder wegen ihrer schwierigen sozialen Lage zur Adoption freigegeben hatte. Eine erneute Schwangerschaft abzubrechen, wäre ihr laut Gesetz des Bundesstaates Texas nur im Fall einer eigenen gesundheitlichen Gefährdung gestattet gewesen. Ihre Anwältinnen sahen in dieser Beschränkung eine Verletzung des Rechts auf Privatsphäre nach dem 14. Verfassungszusatz und initiierten eine Klage beim Bundesbezirksgericht für Nord-Texas.
Das Gericht erklärte zwar, das Gesetz verstoße gegen die Bundesverfassung und müsse überarbeitet werden, lehnte jedoch seine Aufhebung ab. Der Oberste Gerichtshof nahm 1971 die Berufung an. Unterdessen hatte McCorvey ihr drittes Kind geboren und ebenfalls zur Adoption freigegeben.
Beim Thema Abtreibung sind die USA tief gespalten. Das Urteil "Roe vs. Wade" war von Anfang an umstritten wie kaum eine andere Entscheidung in der Geschichte des Supreme Court. Abtreibungsgegner machen seitdem an jedem Jahrestag der Urteilsverkündung mobil und demonstrieren zu Tausenden in Washington für eine Aufhebung des Gesetzes. Auch vor Gewalt schreckten sie in der Vergangenheit nicht zurück.
(Quelle: KNA/ZDF)
Mit Klinikbus auch Vorurteile gegen Vasektomie ausräumen
Guarins Freunde nennen seinen Bus liebevoll den "Nussknacker". Bei allem Humor - davon hält der Arzt eher wenig, erklärt er:
Und so führen unter anderem die strenger werdenden Abtreibungsregeln dazu, dass viele in den USA die Rolle von Mann und Frau beim Thema Verhütung überdenken. Was manch einer als gegen die Natur oder Angriff auf die Männlichkeit empfindet, scheint für immer mehr Männer ganz normal zu sein.