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Interview
Psychische Belastung im Ahrtal:"Trauma nicht nach der Flutnacht vorbei"
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Zwei Jahre nach der Flutkatastrophe im Ahrtal sind die Menschen nach wie vor psychisch belastet. Der Bedarf an Hilfe ist riesig, berichtet die Leiterin des Traumahilfezentrums.
Verzweiflung und Verbitterung nach der Flutkatastrophe sind groß im Ahrtal, berichtet Psychiaterin Katharina Scharping.
Quelle: dpa/Boris Roessler, Archiv
ZDFheute: Wie geht es den Menschen im Ahrtal zurzeit?
Dr. Katharina Scharping: Die Menschen, die zu uns kommen - denen geht es wirklich schlecht und zunehmend schlechter. Viele sind verzweifelt, traurig, ängstlich, haben Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung, sind deutlich eingeschränkt in ihrem Alltagsleben.
Quelle: Dr. von Ehrenwall´sche Klinik
... ist Psychiaterin und leitet das Traumahilfezentrum im Ahrtal, das Einzel- und Gruppenberatung für Flutbetroffene, andere Akuttraumatisierte und Helfende anbietet. Sie ist zudem Chefärztin der Dr. von Ehrenwall'sche Klinik in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem Psychotraumatologie und Akutpsychiatrie.
ZDFheute: Was ist das größte Problem zwei Jahre nach der Flut?
Scharping: Dass das Problem noch da ist. Zwei Jahre mit einer großen Unsicherheit, wo immer noch vieles kaputt ist, vieles nicht so funktioniert, wie man es kennt.
ZDFheute: Wie viele Menschen im Ahrtal sind traumatisiert worden?
Scharping: Es hat einfach alle erwischt. Die Schätzungen sind, dass ungefähr 16.000 Menschen viel verloren haben. Das Kahr-Projekt hat herausgefunden, dass 28 Prozent Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung haben, was sehr viel ist. Die Forschung hat immer gesagt, zehn Prozent der Bevölkerung hat nach einer Naturkatastrophe eine posttraumatische Belastungsstörung.
ZDFheute: Woran liegt das?
Scharping: Es scheint ein Zusammenhang mit dem Druck, mit dem das Wasser durchgeflossen ist, zu bestehen. Es liegt wohl auch daran, dass das Trauma nicht nach der Flutnacht vorbei war.
Die sitzen auf ihrer Baustelle, sehen jeden Tag, was kaputt ist. Die Kinder gehen zum Teil noch in Containern zur Schule - da kann man eigentlich gar nicht genesen.
ZDFheute: Müssen Sie manchen empfehlen, das Ahrtal zu verlassen?
Scharping: Keine einfach zu beantwortende Frage. Alles zu vermeiden, was mit Trauma zu tun hat, ist ein Symptom der posttraumatischen Belastungsstörung. Es geht einem kurz besser, aber man muss dann immer mehr vermeiden. Erst kann man bei Starkregen nicht raus, dann irgendwann die Blumen nicht mehr gießen. So ist es auch unter Umständen, wenn man hier weggeht, dann kann man gar nicht mehr zurück, schränkt sein Leben deutlich ein und hat immer mehr Angst.
Aber auf der anderen Seite, wenn man hier die ganze Zeit in einem Schockzustand sitzt, geht es auch nicht. Da muss man dann individuell sehen.
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ZDFheute: Wie entwickelt sich die Lage im Tal?
Scharping: Die Schere geht mehr auf. Es gibt die, die mit dem Wiederaufbau gut dabei oder fast fertig sind, deren Häuser wieder schön sind. Umso mehr fällt es denen, die noch auf der Baustelle sitzen oder deren Haus gerade erst abgerissen wird, auf, dass sie viel schlechter dran sind. Das macht eine gereizte, eine verbitterte, frustrierte Stimmung.
ZDFheute: Was hören Sie von denen, die zu Ihnen kommen?
Scharping: Verzweiflung und Verbitterung: Jetzt habe ich mir so viel Mühe gegeben, es ist immer noch nicht gut. Jetzt habe ich die Gelder doch nicht gekriegt und ich weiß nicht, wie ich weiter machen soll, ich kann das nicht mehr bezahlen. Es kommen viele und brauchen Hilfe, wie man an die Hilfen kommt.
Bei Kindern ist es so etwas wie nicht mehr in die Schule wollen, sich nicht mehr mit Freunden treffen oder auch unspezifische körperliche Symptome, mehr Kopfschmerzen, mehr Bauchschmerzen.
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Das Klassische nach einem Trauma ist eine posttraumatische Belastungsreaktion oder Belastungsstörung, in der man das Trauma quasi gegen seinen Willen immer wieder erlebt - mit entsprechenden seelischen Reaktionen, mit Schreckhaftigkeit, Ängsten, dem Wunsch, das zu vermeiden. In der Folge entwickeln sich weitere Erkrankungen. Das können Suchterkrankungen sein, die ein Versuch sind, die Symptome zu unterdrücken.
Zudem spielen Angsterkrankungen eine riesige Rolle. Und Ängste haben leider die Eigenheit, dass sie immer größer werden, wenn man nichts dagegen tut.
ZDFheute: Welche Perspektive haben die Betroffenen?
Scharping: Wer seit zwei Jahren deutliche Symptome hat, der braucht eine Behandlung, damit die Perspektive so ist, dass es ihm wieder gut gehen kann. Das wird nach zwei Jahren nicht von selbst wieder gut.
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ZDFheute: Wie können Sie den Menschen helfen?
Scharping: Zum einen pragmatisch, an die materiellen Hilfen zu kommen. Zum anderen seelische Hilfe. Viele denken, ich muss verrückt geworden sein. Ich höre immer noch Rauschen vom Regen, auch wenn die Sonne scheint. Und wenn sie dann noch das Gefühl haben, das darf niemand wissen, dann wird es noch viel schlimmer.
Wenn man den Menschen erklärt, das ist eine normale Reaktion des Gehirns auf eine lebensbedrohliche Erfahrung, tritt oft schon eine deutliche Erleichterung ein. Und man kann Techniken vermitteln, wie man sich in den schlimmsten Phasen selbst stabilisieren kann.
Das Interview führte Marion Geiger.
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