TikTok-Trend: Warum junge Frauen ein "Subway Shirt" tragen
TikTok-Trend gegen Belästigung:Warum junge Frauen ein "Subway Shirt" tragen
von Laura Roban, Katharina Schuster
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Junge Frauen zeigen sich auf TikTok mit einem "Subway Shirt" - mit weiter Kleidung, die sie aus Angst vor Belästigung tragen. Bleibt das eigentliche Problem unerkannt?
Auf TikTok trendet das "Subway Shirt": Junge Frauen in New York tragen es aus Angst vor Belästigung in der U-Bahn.
Quelle: tiktok.com/quesoscorpio
Ist mein Sommerkleid zu kurz, der Ausschnitt meines Oberteils zu tief - und bin ich mit dieser Kleidung sicher vor Übergriffen? Sorgen, die sich junge Frauen in New York vor einer Fahrt mit der Subway machen. Auf TikTok sprechen sie darüber und lassen einen Begriff trenden: das "Subway Shirt".
In der U-Bahn tragen sie weite Kleidung über ihren eigentlichen Outfits. Damit wollen sie Blicke und Übergriffe vermeiden.
Am Ausgehziel oder Zuhause angekommen, ziehen sie die weite Kleidung wieder aus.
In den USA gibt es viele junge Frauen, die sich Sorgen über sexuelle Belästigung in der U-Bahn machen. Deswegen gibt es seit einiger Zeit einen Tik-Tok Trend des "Subway-Shirts". 03.06.2023 | 1:16 min
Subway Shirt - aus Angst vor sexueller Belästigung
Mit dem Sommer beginnt für die jungen Frauen damit die "Subway Shirt"-Saison, wie eine andere Userin sie nennt. Über ihr zum Teil transparentes Oberteil zieht sie ein anderes, blickdichtes, und strahlt danach in die Kamera.
Die Videos ähneln sich, sind oft bunt und mit lauter Musik hinterlegt. Ihre Ängste formulieren nur wenige aus. Dem Guardian erklärt die New Yorkerin Claire Wenrick:
Die 19-jährige Ajana Grove sagt: "Ich habe schnell gelernt, dass ich herumlaufen und tun kann, was ich will, solange ich bedeckt bin. Jedes Mal, wenn ich mein Subway-Shirt vergesse, bereue ich es sofort und denke darüber nach, umzukehren."
Die Frauen haben Angst vor sexueller Belästigung, dazu gehören z. B.:
Pfiffe
unangenehme Blicke
Bemerkungen über ihr Aussehen
obszöne Witze
"zufällige" Berührungen
sexuelle Übergriffe
Sexualforscher: Sexismus und Männerdominanz eigentliches Problem
Aber weite T-Shirts oder Hoodies - schützen die wirklich? Dass die Kleidung der Betroffenen das Problem sei, sei ein gängiger Mythos in der deutschen Gesellschaft, sagt Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß von der Hochschule Merseburg. Dieser Mythos legitimiere Übergriffe und entschuldige Täter, so der Sexualwissenschaftler.
Zu sagen Frauen provozierten mit ihren Outfits Übergriffe, sei eine "Täter-Opfer-Umkehr". Das eigentliche Problem sind laut Voß "Sexismus und Männerdominanz".
Jeder Dritten widerfährt sexualisierte oder körperliche Gewalt
Wenn eine Betroffene nach Rat suche, komme noch immer oft die Antwort: "Wenn du auch so rumläufst..." - und die Ratsuchende erfahre nicht einfach Unterstützung.
In aktuellen Forschungen der Hochschule Merseburg zu Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen hätten nahezu alle befragten Mädchen und Frauen angegeben, bereits Belästigung erlebt zu haben, so Voß. Befragt wurden Personen ab 18 Jahren in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Körperliche oder sexualisierte Gewalt erlebt nach Angaben des Familienministeriums jede dritte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben.
Quelle: Christian Auspurg, Hochschule Merseburg
... hat an der Hochschule Merseburg die Professur für Sexualwissenschaft und sexuelle Bildung inne. Voß leitete und leitet zahlreiche Forschungsprojekte (u.a. die vom BMBF geförderten Projekte "Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Traumatisierung" und "SeBiLe - Sexuelle Bildung für das Lehramt" sowie das EU-Projekt "TRASE - Training in Sexual Education for People with Disabilities").
Regional und bundesweit bringt sich Voß in die Fortentwicklung von Strukturen zur Prävention von sexualisierter Gewalt und zur Förderung Sexueller Bildung ein.
Awareness-Teams als Anlaufstelle in Party-Locations
Eine Täter-Opfer-Umkehr setze bereits da an, wo dem Opfer eine Mitschuld an einem selbst erfahrenen Übergriff zugewiesen werde, sagt Voß. Durch ein Outfit trage eine betroffene Person aber keine Mitschuld.
Deshalb böten gute Party-Locations mittlerweile sogenannte Awareness-Teams an, um eine gute und rasche Unterstützung zu gewährleisten, so Voß. Auch im Alltag gelte es, bei Übergriffen zu intervenieren - und die Verantwortung klar bei dem Täter zu sehen.
Bedarf an guter Prävention ist "riesig"
Denn verschiebe man die Verantwortung zum Opfer, würden die Hürden erhöht, sich später Hilfe zu holen. Schon jetzt sei Scham ein großes Problem. Viele Betroffene suchten sich keine Hilfe oder erstatteten keine Anzeige. Der Bedarf an guter Prävention und Arbeit an den gesellschaftlichen Stereotypen in Deutschland sei "riesig".
Das Tempo aber müsse deutlich erhöht werden - und es kratze an Selbstverständlichkeiten, die gerade ältere Männer über 40 noch anders in der Schule und ihrer Jugendkultur gelernt hätten.
Egal ob junge Frauen ein "Subway Shirt" überziehen oder nicht: ihre Kleidung rechtfertigt niemals einen Übergriff.
Anzügliche Aufforderungen oder Hinterherpfeifen - "Catcalling" ist in Deutschland oft legal. Doch wie realistisch ist ein Verbot und wie kann man sich wehren?