Abiturnoten-Statistik:Wie gerecht sind Schulnoten?
von Gary Denk
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Sie haben Einfluss darauf, was wir studieren können und welchen Beruf wir bekommen. Aber sind Schulnoten gerecht oder zu wenig vergleichbar, zu individuell, zu entscheidend?
Bei den Abiturnoten gibt es große Unterschiede je nach Bundesland und Jahrgang.
Quelle: dpa
Auf den ersten Blick scheint es ganz einfach: Eine Schülerin oder ein Schüler schreibt einen Test und wird auf einer Skala von 1 bis 6 bewertet. Eine 1 gibt es, wenn die Leistung besonders gut war - und eine 6, wenn es schlecht gelaufen ist. Eine einfache Ziffer - und sie suggeriert, die Leistung werde objektiv bewertet.
Ein Blick in die Daten der Kultusministerkonferenz zeigt jedoch: Wie gut das Zeugnis ausfällt, hängt auch davon ab, in welchem Bundesland man zur Schule geht.
In Thüringen lag die Durchschnittsnote aller Abiturientinnen und Abiturienten im Jahr 2022 bei 2,04 bei einer Durchfallquote von 1,7 Prozent - die besten Werte im Ländervergleich. Ganz hinten liegt Schleswig-Holstein mit einer Durchschnittsnote von 2,42 und einer Durchfallquote von 4,6 Prozent.
Abiturnoten im Ländervergleich
ZDFheute Infografik
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Große Unterschiede bei der Benotung je nach Bundesland
Sind die Schülerinnen und Schüler in Thüringen damit besonders schlau? "Das wäre auf jeden Fall eine interessante Interpretation der Zahlen", so Bildungsforscherin Nele McElvany von der TU Dortmund. "Ich denke, es liegt wohl eher daran, dass das Abitur in Deutschland uneinheitlich geregelt ist. Je nach Bundesland gibt es unterschiedliche Regeln für das Abitur - sei es bei den möglichen Fächerkombinationen oder Noten, die man einbringen kann, oder Abituraufgaben selber."
Problematisch würden diese Unterschiede, wenn es um die Vergabe von Studienplätzen an Universitäten gehe, folgert McElvany:
Noteninflation in ganz Deutschland
Auch im Zeitverlauf gibt es Unterschiede. Der Abiturdurchschnitt wird in fast allen Ländern von Jahr zu Jahr besser. Im Jahr 2006 lag er im bundesweiten Schnitt noch bei 2,53 - 2022 schon bei 2,28.
Abiturdurchschnitt bundesweit
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Den deutlichsten Unterschied gab es in Berlin. Im Jahr 2006 lag dort der Abiturschnitt bei 2,68. Bis 2022 kletterte er auf 2,22.
Schon seit längerem werde diese Entwicklung diskutiert, so Bildungsforscher Hans Anant Pant von der Humboldt-Universität in Berlin. Von der Noteninflation seien nicht nur Abiturientinnen und Abiturienten betroffen, sondern auch Studierende.
"Über die Ursachen der Noteninflation kann ich nur mutmaßen", sagt der Bildungsforscher. "Das könnte damit zusammenhängen, wie Lehrer den Arbeitsmarkt für ihre Schülerinnen und Schüler einschätzen."
"Gymnasium war früher Elite-Schulart"
Eine weitere Erklärung: Der Anteil derer, die aufs Gymnasium gehen, sei über die letzten Jahrzehnte deutlich angestiegen - und liege bundesweit bei über 50 Prozent.
"Das Gymnasium war früher Elite-Schulart, deren Besuch zwar nicht garantierte, aber es doch sehr wahrscheinlich machte, dass man als Absolventin oder Absolvent später einen gut bezahlten, guten Job bekam", so Pant. "Das ist jetzt anders und ich glaube, vielen Lehrerkräften ist das bewusst, weshalb sie besser benoten."
Viele Faktoren fließen in die Endnote
Noten unterscheiden sich nicht nur je nach Standort und Jahrgang. "Noten sind extrem abhängig von dem Lehrer oder der Lehrerin - und das kann die Aussagekraft von Ziffernnoten schwächen", so Pant.
Folgende Faktoren haben unter anderem Einfluss auf die Schulnote:
persönliche Sympathien, zum Teil geprägt durch unbewusste Vorurteile
Überbewertung des ersten Eindrucks einer Prüfung oder der letzten Antwort
zu strenge oder zu milde Benotung je nach Persönlichkeit der Lehrkraft
soziale Herkunft der Schülerin oder des Schülers
Leistung der Mitschülerinnen und Mitschüler in der Klasse
Diese Alternativen gibt es
Eine mögliche Alternative bilden Textzeugnisse. Sie seien im Gegensatz zu Ziffernnoten nuancierter - und könnten konkret Rückmeldung über die Fortschritte und Fähigkeiten geben, erklärt McElvany. "Eine Hürde dabei kann jedoch sein, dass Textzeugnisse oft sehr freundlich formuliert sind - und manche Eltern nicht direkt verstehen, wo das Kind steht, und dann nicht gezielt unterstützen können."
Pant sieht eine andere Möglichkeit in sogenannten Kompetenzrastern. Dabei werden kurze Beschreibungen von dem gegeben, was Schülerinnen und Schüler schon können oder nicht. "Ein Kompetenzraster ist für die Lehrkraft vergleichsweise schnell gemacht - und ist weitaus informativer über den Lernfortschritt als eine Ziffernnote."
An einer Realschule in Nordrhein-Westfalen werden die Handys der Schüler von den Lehrkräften vor Unterrichtsbeginn eingesammelt. Damit will man Videoaufnahmen von Gewalt auf dem Schulgelände verhindern.16.06.2023 | 1:47 min
Für die beiden Bildungsforschenden ist jedoch klar: Ohne Rückmeldung geht es nicht. "Schülerinnen und Schüler müssen wissen, wo sie stehen und woran sie arbeiten müssen", so McElvany.
Es sei aber auch notwendig, so Pant, die Aufnahme und Zulassung etwa an weiterführenden Bildungseinrichtungen zu überdenken - und nicht nur auf die Durchschnittsnote zu schauen. "Universitäten können ganz diversifizierte Routinen für die Zulassung entwickeln - Interviews, Wartezeiten, Härtefallregelung - gesetzlich ist das auf jeden Fall möglich."