Von "Dschungelcamp" bis "Bachelor": So funktioniert Reality-TV

    Interview

    "Es geht es um Inszenierung":So funktionieren Reality-Formate

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    Von "Dschungelcamp" bis "Bachelor": Reality-Formate sind fast Standard im deutschen Fernsehen. Das kann aber auch problematisch sein, findet Medienpsychologe Leonard Reinecke.

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    ZDFheute: Wie funktioniert eine Reality-Show?
    Leonard Reinecke: Generell geht es um Inszenierung. Kandidatinnen und Kandidaten werden in Konstellationen gebracht, wo es mit großer Sicherheit zu Konflikten kommt. Das heißt, die Shows sind sehr gut durchgeplant, aber sie folgen nicht unbedingt einem festen Drehbuch.

    Reality-Formate arbeiten mit starken Emotionen. Schadenfreude kann da ein wichtiger Aspekt sein.

    Formate wie das Dschungelcamp haben auch einen stark voyeuristischen Aspekt: Man will prominente Menschen in prekären Situationen sehen wie zum Beispiel den Dschungelprüfungen.

    Schadenfreude und soziale Vergleiche spielen beim Erfolg dieser Formate sicherlich eine Rolle und sind auch Teil des Unterhaltungskonzepts.

    Leonard Reinecke
    Quelle: Leonard Reinecke

    ... ist Medienpsychologe und forscht an der Universität Mainz den Zusammenhang von Mediennutzung und psychologischem Wohlbefinden.

    ZDFheute: Seit der Corona-Pandemie gibt es mehr Reality-Shows. Woran liegt das?
    Reinecke: Die Corona-Pandemie hat insgesamt zu einer wahnsinnig starken Nachfrage nach Unterhaltungsformaten beigetragen und da sind Reality-Formate keine Ausnahme. Sie passen auch gut in den Zeitgeist und in die Situation, in der wir uns im Moment befinden.

    Wir sind auch nach Corona mit vielen negativen Nachrichten konfrontiert. Solche Unterhaltungsformate bringen einen auf positivere Gedanken.

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    ZDFheute: Gibt es eine bestimmte Art von Zuschauern, die Reality-TV schauen?
    Reinecke: Es ist ein Massenphänomen für Alt und Jung. Ältere Zuschauer, die auch schon mehr Lebenserfahrung haben, haben dabei möglicherweise einen distanzierteren Blick auf solche Formate.
    ZDFheute: Haben Reality-Formate also andere Auswirkungen auf jüngere Zuschauer?
    Reinecke: Jüngere Menschen, die noch in Phasen der Identitätsfindung und ersten Beziehungserfahrungen stecken, fehlt oft die nötige Distanz und Gelassenheit. Daher besteht bei ihnen die Gefahr, dass solche Formate als Maßstab für ihre eigenen Lebensentscheidungen dienen - was problematisch sein könnte.
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    ZDFheute: Vor allem Dating-Formate sind sehr beliebt. Wie wirken sich die auf die Zuschauer aus?
    Reinecke: Ich glaube, Dating-Formate sind so faszinierend, weil sie die großen Fragen des Lebens verhandeln: Zum Beispiel Liebe, Sex, Verlust und Verrat. Problematisch ist dabei das Menschenbild, das transportiert wird. Es geht um Fragen wie, was Attraktivität ausmacht und was Partnerschaft bedeutet.

    Oft werden im Reality-TV problematische und konfliktbeladene Narrative verwendet, die keine guten Vorbilder für das echte Leben bieten.

    ZDFheute: Warum bauen Zuschauer manchmal so eine enge Bindung zu einem Protagonisten aus einem Reality-Format auf?
    Reinecke: Reality-Formate sind oft konfliktbeladen und wettbewerbsorientiert, was es Zuschauern leichter macht, starke Bindungen zu den Teilnehmern aufzubauen. Diese "Beziehungen" bleiben im Gedächtnis, auch wenn sie nicht real sind.
    Das Gefühl, mit sympathischen Personen etwas durchgemacht zu haben, bleibt oft bestehen. Manchmal möchten Zuschauer diese Verbindungen dann auch über das TV-Format hinaus aufrechterhalten. Dafür bietet Social Media eine neue Möglichkeit, um langfristig mit den Charakteren in Kontakt zu bleiben.
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    ZDFheute: Was für positive oder negative Effekte hat Reality-TV auf den Zuschauer?
    Reinecke: Bei den Vorteilen würde ich vor allem psychologische Funktionen sehen: Entspannung, Eskapismus, also sich distanzieren von den Schwernissen des Alltags. Es gibt auch ein soziales Element, man kann sich mit anderen Personen darüber austauschen.
    Negativ könnte die Botschaft solcher Formate sein. Weil Prominente oft negativ dargestellt werden, kann das zu einer negativen Grundstimmung beim Sozialvergleich führen.

    Generell sollte man Reality-TV nicht als Maßstab fürs eigene Leben nehmen. Dafür ist es einfach viel zu stark inszeniert und realitätsfern.

    Das Interview führte Dagmar Noll für die Sendung Volle Kanne.

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    Quelle: dpa

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