Küste vor Südspanien:Rätselhafte Orca-Angriffe auf Boote
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Treibt ein Orca-Clan mit bösen Absichten gegen Boote im spanischen Mittelmeer sein Unwesen? Das ist zumindest eine mögliche Erklärung für die zahlreichen Zusammenstöße dort.
Seit rund zwei Jahren mehren sich die Orca-Angriffe auf Boote vor der Küste Spaniens.
Quelle: dpa
Orcas, die unter Anleitung eines Leittieres Segelboote angreifen: Das klingt wie eine Szene aus dem düsteren Roman "Der Schwarm" von Frank Schätzing über die Revolte der Meerestiere gegen die Menschheit. Vor der südspanischen Küste sind solche Attacken aber offenbar seit einigen Jahren Realität.
Allein in diesem Jahr zählte die spanische Organisation Salvamento Marítimo schon 28 "Interaktionen" zwischen Schwertwalen und Booten, bei denen meist nur das Boot und nicht die Besatzung Schaden nimmt.
Für die Menschen an Bord ist es aber trotzdem ein beängstigendes Erlebnis. "Sie haben direkt das Ruder angegriffen", erzählt Friedrich Sommer, der deutsche Besitzer eines Segelboots mit dem Namen "Muffet", das von einer Gruppe aus drei oder vier Orcas beschädigt wurde.
Jetzt liegt sein Boot zur Reparatur im spanischen Örtchen Barbate an der andalusischen Küste. Es ist nicht das einzige. "Dieses hier hat sein ganzes Ruder verloren", sagt Schiffbauer Rafael Pecci und zeigt auf ein anderes Boot.
Tierschützer: 500 Attacken innerhalb von zwei Jahren
Die "Interaktionen", wie die Begegnungen von Orca und Boot offiziell genannt werden, haben 2020 entlang der spanischen Atlantikküste begonnen, vor allem zwischen Cádiz und dem marokkanischen Tanger.
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Dort halten sich besonders viele Schwertwale auf, weil ihr Lieblingsfutter, der Blauflossen-Thunfisch, im Frühling zum Laichen ins Mittelmeer schwimmt. Sonst kommt der Fisch in allen Meeren vor, aber zum Laichen kommen die Tiere nur in den Golf von Mexiko und ins Mittelmeer. Die Tierschutzorganisation GT Orca Atlántica (GTOA) spricht von 500 Attacken in den Jahren 2020 bis 2022.
Ist ein Orca-Clan unter Anführerin Gladis verantwortlich?
Wissenschaftler und Meeresbehörden fragen sich, was die Tiere bewegt, sich so untypisch zu verhalten. "Wir wissen sehr wenig über die Gründe dieser Interaktionen", betont José Luis García Varas, der das Meeresschutz-Programm der Umweltorganisation WWF in Spanien leitet.
- Die Tiere in den spanischen Gewässern sind eine Untergruppe der Orcas und mit bis zu 6,5 Metern deutlich kleiner als ihre arktischen Verwandten, die bis zu neun Meter lang werden können.
- Die spanische Regierung hat Iberische Orcas 2011 als bedrohte Tierart eingestuft. Seit 2019 stehen sie auch auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN).
- Iberische Orcas sind eigentlich Delfine und ihre Bezeichnung "Killerwale" laut der Tierschutzorganisation GTOA falsch, da sie weder Menschen noch andere Säugetiere fressen. Quelle: AFP
Das fördert die Legendenbildung: Die Angriffe werden vor allem einem Clan von Orcas zugeschrieben, der von einer Matriarchin namens Gladis angeführt wird oder wurde. Vielleicht habe Gladis eine schmerzhafte Begegnung mit einem Boot gehabt und ihren Angehörigen deswegen beigebracht, die Boote zu attackieren, heißt es.
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Gladis könnte ihrer Familie Vorurteile gegen Boote vermittelt haben
Die Orca-Schützer von GTOA haben den Stammbaum von 15 Schwertwalen zusammengestellt, die sie "die Gladis-Gruppe" nennen und die allesamt Boote angegriffen haben. Orcas "bilden Familien und Gruppen", sagt García Varas.
María Dolores Iglesias, Leiterin einer örtlichen Naturschutzorganisation, glaubt, dass Gladis schon gestorben sei und ihr Clan weitermache, weil sie ihm ihre Ressentiments vermittelt habe. Eine "Enkelin von Gladis" greife "voller Wut" Boote an, berichtet Iglesias.
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Ortungsgeräte sollen gegen Zusammenstöße zwischen Orcas und Booten helfen
Wal-Experte Renaud de Stephanis hält es für möglich, dass die Orcas nur spielen wollten. Aber auch "Animositäten" will er nicht ausschließen.
Im Auftrag der spanischen Regierung versieht de Stephanis Orcas mit Ortungsgeräten und folgt ihnen mithilfe von Satellitentechnologie, um die Begegnungen zwischen Tier und Boot zu minimieren.
Ob Spiel oder feindselige Einstellungen: Zum Glück für die Segler vor der spanischen Küste können Orcas nur mit ihresgleichen reden. So werden sie sich immerhin nicht mit anderen Meeresbewohnern zusammentun wie in Schätzings "Schwarm".
Quelle: Alfons Luna und Anahí Aradas, AFP