Digitalnomaden in der Kritik:Kampf um Wohnraum in Mexiko-Stadt
von Steffanie Riess
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Tausende zahlungskräftige Ausländer ziehen jährlich in Mexikos Hauptstadt. Ein Resultat sind steigende Mieten. Für die einheimische Bevölkerung wird der Wohnraum knapp.
Digital Nomaden zieht es nach Mexico City, wegen des Klimas und der Lebensqualität. Sie sind zahlungskräftiger als die Einheimischen, verdrängen diese aus ihrem Zuhause.02.08.2023 | 6:44 min
Wenn Rachel Finkelstein mit dem Fahrrad durch ihre Nachbarschaft in Mexiko-Stadt fährt, genießt sie das bunte Straßenleben. Es ist so anders als ihre Heimat in den Vereinigten Staaten. "Ich liebe, wie lebendig hier alles ist. Ich mag die Geräusche, die Leute, die Energie. Ich komme aus Boston, wo es die Hälfte des Jahres kalt und dunkel ist und die Menschen sich in ihren Häusern verstecken."
Die 36-Jährige ist mit ihrer Liebe für die Wahlheimat nicht allein. Das angenehme Klima, gute Essen und die hohe Lebensqualität, verbunden mit laxen Covid-Regeln und einer stabilen Internetverbindung, haben Mexiko-Stadt spätestens seit der Corona-Pandemie zum Lieblingsort von US-amerikanischen Digitalnomaden gemacht. Anträge von US-Amerikanern für Aufenthaltsgenehmigung in Mexiko stiegen um 75 Prozent zwischen 2019 und 2022.
Ausländer in Mexiko gut für die Wirtschaftsbilanz
Ein Großteil der Neuzugänge arbeitet im Homeoffice und wird in US-Dollar bezahlt. Das gibt ihnen eine erhöhte Kaufkraft im Vergleich zur lokalen Bevölkerung und macht sie zu attraktiven Kunden und Mietern. Die Digitalnomaden sind gut fürs Geschäft: Allein im Jahr 2021 trugen sie fast eine halbe Milliarde Euro zur Wirtschaftsbilanz der mexikanischen Hauptstadt bei.
Die Stadt passt sich an die vielen Ausländer an: In den In-Vierteln Roma Norte und Condesa sprießen schicke Restaurants, edle Geschäfte und hippe Co-Working-Spaces aus dem Boden, Altbauten weichen Luxuswohnungen.
Hässliche Seite der Gentrifizierung
Für die ursprünglichen Bewohner dieser Stadtteile hat das oft unangenehme Folgen. Die Mieten steigen und immer mehr Wohnraum wird in Airbnbs umgewandelt. Im historischen Zentrum von Mexiko-Stadt werden inzwischen fünf Prozent aller Wohnungen auf der Plattform an Ausländer vermarktet. Wer nicht mithalten kann, wird verdrängt - häufig mit Gewalt. Das ist die hässliche Seite der Gentrifizierung.
Mehr als 20.000 Familien im Jahr müssen die Stadt verlassen. Mexikos schwache Mieterschutzgesetze, korrupte Behörden und willfährige Ordnungskräfte ermöglichen skrupellosen Immobilienunternehmern auch ohne rechtliche Grundlage, Mieter zu entfernen, die einer Sanierung oder einem Abriss im Weg stehen.
Die Medien sind voller Geschichten wie der von Rufina Galindo, die nach 66 Jahren in der Emiliano Zapata Straße 68 im Juni unrechtmäßig und mit Gewalt aus ihrer Wohnung im historischen Zentrum entfernt wurde.
"Gringo go home"
Solche Zwangsräumungen sind nichts Neues in Mexiko-Stadt. Aber zuletzt sind es mehr geworden. Belastbare Zahlen gibt es wenig - eine Statistik spricht von einem Anstieg um 30 Prozent zwischen 2019 und 2022. Auch sind die Opfer jetzt sichtbarer als früher: In den sozialen Medien werden ihre Geschichten bekannt und der Ruf nach bezahlbarem Wohnraum immer lauter.
Manche sehen die Verantwortung für die Probleme bei den Ausländern. "Gringo go home" ist als Graffiti auf Hauswände gemalt und ähnliche Kommentare sind in den sozialen Medien inzwischen an der Tagesordnung.
Der Stimmungsumschwung ist spürbar, sagt Lauren Schloss, die seit drei Jahren in der Stadt lebt. "Es ist ständig Thema. Manche meiner amerikanischen Freunde wollen kaum noch Zeit mit Mexikanern verbringen, weil es ständig heißt: 'Blöde Gringos, nervige Ausländer, ihr treibt die Mieten hoch.'"
Von daheim aus arbeiten, nach Feierabend den Strand genießen - das schätzen viele Digitalnomaden am Leben im Ausland.
Quelle: Colourbox.de/Dmitry Travnikov
Keine Antwort auf wachsende Wohnungsnot
Tatsächlich spielen wohl viele Faktoren eine Rolle. Die zahlungskräftigen Ausländer beschleunigen die Gentrifizierung. Statt die Bevölkerung etwa mit Mietdeckeln zu schützen und mehr sozialen Wohnraum zur Verfügung zu stellen, facht die Stadtregierung die Entwicklung weiter an.
Wenige Monate bevor sie ihr Amt niederlegte, um für die Präsidentschaft zu kandidieren, unterschrieb Bürgermeisterin Claudia Sheinbaum im Oktober 2022 ein Abkommen mit Airbnb. Es soll Mexiko-Stadt zum globalen Hub für Digitalnomaden machen. Eine Antwort auf die wachsende Wohnungsnot bot sie nicht.
Steffanie Riess ist Redakteurin im ZDF-Auslandsstudio in Washington.
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