Häusliche Gewalt und Fußball: Der Spieltag als Albtraum
Häusliche Gewalt und Fußball:Wenn der Spieltag zum Albtraum wird
von Renée Severin, London
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Studien in England zeigen, dass häusliche Gewalt an Spieltagen zunimmt. Turniere wie die EM oder die Spiele in der Premier League bedeuten für Betroffene Todesangst.
England ohne Fußball? Undenkbar. Oft entscheidet er aber auch über das Maß an häuslicher Gewalt. Mit Anstieg um 38 Prozent, wenn die Engländer bei einem großen Turnier verlieren.23.08.2024 | 2:04 min
Fußball bedeutet für viele Fans alles: Zusammenhalt, Emotionen, Kultur. Fußball kann aber auch Todesangst bedeuten. Studien in England zeigen, dass häusliche Gewalt an Spieltagen zunimmt. "Ich hatte Angst um mein Leben - ich dachte, er bringt mich um", erinnert sich Emma Bray. Sie hat selbst erlebt, wie ihr Ex-Partner Fußball als Ausrede nutzte, um ihr gegenüber gewalttätig zu werden, körperlich und emotional.
Er sagte, er sei nun mal sehr leidenschaftlich, wenn es um sein Team ging.
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Emma Bray, Überlebende von häuslicher Gewalt
Nach Spielen sei er nur selten mit guter Laune nach Hause gekommen, vor allem wenn das Team verloren habe, so Emma. Elf Jahre ist das jetzt her, damals war sie Anfang 20. Mehrfach versucht sie zu fliehen, schafft es schließlich nach einer weiteren Attacke.
Millionen von häuslicher Gewalt betroffen
Emma ist kein Einzelfall. Die Nationale Statistikbehörde im Vereinigten Königreich schätzt die Zahl der Betroffenen von häuslicher Gewalt auf über 2,1 Millionen. Dass während eines Fußballspiels die Fälle in England steigen, haben in den vergangenen Jahren verschiedene Studien nachgewiesen - etwa in Manchester.
Wissenschaftler haben dort mithilfe von Polizeidaten die Auswirkungen von fast 800 Spielen von Manchester City und Manchester United ausgewertet. Das Ergebnis: Nach einem Spiel steigt die Zahl der gemeldeten Vorfälle an - in den ersten vier Stunden um fünf Prozent, alle zwei Stunden. Der stärkste Anstieg zeigt sich nach zehn bis zwölf Stunden. 16 Stunden nach einem Spiel verschwindet der Effekt.
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Wissenschaftler empfiehlt späte Anstoßzeiten
"Wir sehen das Problem bei frühen Anpfiffen", erklärt Professor Tom Kirchmaier von der London School of Economics. Er hat an der Studie über Manchester mitgearbeitet. So gebe es einen beträchtlichen Anstieg der Fälle, wenn ein Spiel früh beginnt.
"Weil die Fans danach häufig in einen Pub gehen", so Kirchmaier. Nicht Fußball an sich sei der Auslöser für die Gewalt, sondern der damit verbundene Alkoholkonsum. Deshalb ist seine Empfehlung, Spiele grundsätzlich erst ab 19 Uhr anzupfeifen. "Bei späten Anpfiffen sehen wir keinen Effekt", erklärt Kirchmaier. Denn: Am Ende des Tages bleibt weniger Zeit, um noch Alkohol zu trinken.
Alkoholkonsum feuert Gewalt an
Auch Emmas Ex-Freund hat viel getrunken, hat Drogen genommen. "Fußball war für ihn eine Möglichkeit, noch häufiger in den Pub zu gehen", erinnert sie sich. Heute leitet Emma eine Charity-Organisation ("I Choose Freedom"). In ihren Unterkünften finden andere Betroffene Zuflucht.
Die Zahlen zu häuslicher Gewalt sind dramatisch. Auch die Initiative #DieNächste will gegen Schweigen und Scham helfen. Gegründet haben sie fünf Frauen, die selbst Opfer waren.04.06.2023
Mehr Fälle zu EM 2024 und Premier League
Vor großen Turnieren oder wenn die Premier League startet, suchen Betroffene vermehrt Zuflucht in ihren Frauenhäusern. Die Zahlen zeigen: In den zwei Wochen vor der EM 2024 haben 29 Betroffene bei der Organisation angefragt. Zwei Wochen nach Turnierbeginn hat die Zahl sich verdoppelt.
Die Frauen hatten Angst, was passiert, wenn ihr Team verliert.
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Emma Bray, CEO von "I Choose Freedom"
Auch vor Beginn der Premier League Mitte August nahmen die Anfragen zu. Helfen können Emma und ihr Team bei weitem nicht allen Betroffenen - es fehlt an Geld und Unterstützung.
Fulham F.C. will Häusliche Gewalt thematisieren
Die höchste Spielklasse im englischen Fußball schreibt auf ZDF-Anfrage: "Die Premier League unterstützt Vereine und ihre Organisationen bei Initiativen, die gegen geschlechtsspezifischen Missbrauch vorgehen." Man stehe im Austausch mit Vereinen, Fangruppen und Hilfsorganisationen. Emma findet, es gibt noch nicht genug Aufmerksamkeit für das Thema.
Kein Fußballer hat sich bisher gemeldet und gesagt: 'Lasst uns was verändern.'
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Emma Bray
Die Reichweite der Spieler könne helfen, mehr Sichtbarkeit für das Thema und die Betroffenen zu schaffen. Immerhin: Der Londoner Fußballverein Fulham F.C. hat sich bei Emma gemeldet, will sich engagieren. Emma hofft, dass andere Vereine nachziehen.
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Trauma wirkt auch Jahre später nach
Nach einem Termin mit dem Verein habe sie Albträume gehabt, das Thema sei noch immer schwierig für sie. Neben ihrer Aufklärungsarbeit will sie mit dem Fußball nichts mehr zu tun haben. "Es ist schade, weil ich früher mit meiner Familie oft beim FC Chelsea war, das war unser Ding." Aber der Sport erinnere sie heute an die schlimmste Zeit ihres Lebens.
Quelle: dpa
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