Kanada: Skandal wegen Zwangssterilisierung Indigener

    Kanadas Regierung unter Druck:Skandal wegen Zwangssterilisierung Indigener

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    Tausende indigene Frauen wurden in Kanada über Jahrzehnte hinweg gegen ihren Willen sterilisiert. Und das ist noch immer nicht Vergangenheit. Die Regierung steht unter Druck.

    Kanadas Premierminister Justin Trudeau während einer Ankündigung in Ottawa.
    Kanadas Premierminister Trudeau hat aufs Neue mit schwerwiegenden Vorwürfen der indigenen Bevölkerung zu kämpfen.
    Quelle: reuters

    Im Büro von Senatorin Yvonne Boyer laufen die Beschwerden zusammen. Hier werden die Daten gesammelt, die über die Zwangssterilisation von indigenen Frauen in Kanada verfügbar sind. Erschöpfend sind diese nicht, doch Boyer spricht von Tausenden Fällen.
    Seit den 1970er-Jahren seien mindestens 12.000 Frauen betroffen, sagt die Senatorin, die selbst Wurzeln in der Ethnie der Métis hat. "Immer wenn ich mit einer indigenen Gemeinschaft spreche, werde ich von Frauen überrannt, die mir berichten, dass sie zwangssterilisiert wurden." Dabei beziehen sich die Frauen nicht unbedingt auf alte Zeiten.
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    Schreckliche Praxis bis heute

    Sowohl Betroffene und Aktivistengruppen, aber auch Stimmen aus der Ärzteschaft und Politik erheben den Vorwurf, dass es noch immer zahlreiche Fälle gibt. Auch ein Bericht des Senats kam im vergangenen Jahr zu dem Schluss, dass "diese schreckliche Praxis sich nicht auf die Vergangenheit beschränkt".
    Quer durch Kanada sind aktuell mindestens fünf Sammelklagen anhängig. Ein Fall von womöglich vielen: In diesem Frühjahr wurde ein Arzt für eine Zwangssterilisation aus dem Jahr 2019 von den Gesundheitsbehörden abgemahnt, wie aus Dokumenten hervorgeht, die der Nachrichtenagentur AP vorliegen. Auslöser der Operation waren Unterleibsschmerzen der indigenen Frau.

    Bewegende Einzelschicksale

    Der Arzt hatte das schriftliche Einverständnis, den rechten Eileiter zu entfernen, nicht aber den linken. Doch er schnitt beide Eileiter heraus - trotz der Einwände des medizinischen Kollegiums während der Operation. Eine Untersuchung ergab dann, dass es keine medizinische Rechtfertigung für die Sterilisation gab. Das Vorgehen des Arztes wurde als "schwerwiegender chirurgischer Fehler" und unethisch verurteilt.
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    Regierung sind Vorwürfe bekannt

    In einer Stellungnahme erklärte die kanadische Regierung der AP, dass ihr die Vorwürfe bekannt und die Gerichte eingeschaltet seien. "Die Sterilisation von Frauen ohne deren Zustimmung nach Aufklärung stellt einen Angriff dar und ist eine Straftat", hieß in der Erklärung. Gleichzeitig räumte die Regierung ein, dass eine Voreingenommenheit im Gesundheitssystem "weiterhin katastrophale Auswirkungen" auf die indigene Bevölkerung habe.
    Quelle: AP