Behindertenverband: Zahl gemeldeter Diskriminierungen steigt

    Interview

    Inklusion in Deutschland:"Zahl gemeldeter Diskriminierungen steigt"

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    Bei der Inklusion gebe es in Deutschland noch großen Aufholbedarf, sagt der Chef des Allgemeinen Behindertenverbands. Auch von einer Barrierefreiheit sei man "meilenweit" entfernt.

    Frau im Rollstuhl
    In Deutschland werden Menschen mit Behinderungen oft in separate Strukturen gedrängt.
    Quelle: dapd

    Der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat die Lage in Deutschland. Er prüft, ob Deutschland die 2009 unterzeichnete UN-Behindertenrechtskonvention genügend umsetzt. Der Vorsitzende des Allgemeinen Behindertenverbands, Marcus Graubner, spricht über die Situation von Menschen mit Behinderungen hierzulande.

    Das "Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen" (UN-Behindertenrechtskonvention) wurde 2006 von den Vereinten Nationen verabschiedet und 2009 von Deutschland ratifiziert. In der Konvention werden die bereits anerkannten allgemeinen Menschenrechte für die Situation von Menschen mit Behinderungen konkretisiert, um diese vor Diskriminierung und Ausgrenzung zu schützen. Die Inhalte der Konvention sind geltendes Recht in Deutschland. Ihr Ziel ist der volle und gleichberechtigte Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen. 

    ZDFheute: Herr Graubner, der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen kritisiert unter anderem, dass es in Deutschland zu viele separate Strukturen für Menschen mit Behinderungen gebe. Teilen Sie diese Kritik?
    Marcus Graubner: Ja, ich teile diese Kritik und ich bin froh, dass es in Genf öffentlich ausgesprochen wurde. Das sollte für uns, für Deutschland ein Weckruf sein. Wir haben die UN-Konvention mitunterschrieben, die ist bindend.

    Marcus Graubner, Vorsitzender des Allgemeinen Behindertenverbands

    ... ist Vorsitzender des Allgemeinen Behindertenverbands in Deutschland e.V. (ABiD) und setzt sich für die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Deutschland ein. Für sein Engagement wurde er unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

    Und wenn wir jetzt 2023 hinschauen, dann haben wir zwar viel Papier beschrieben, aber in vielen Bereichen - ob auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Barrierefreiheit im öffentlichen Nahverkehr oder im öffentlichen und privaten Bau - sehen wir, dass wir hinterherhängen. Ich sage nicht, dass nichts passiert ist, aber wir sind insgesamt zu langsam, zu bürokratisch und nehmen die Menschen nicht mit.
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    ZDFheute: Wie sehen diese separaten Strukturen in Deutschland aus?
    Marcus Graubner: Wenn wir zum Beispiel auf den Arbeitsmarkt schauen, dann ist es so, dass Menschen mit Behinderungen sehr besonders von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Und das, obwohl es Verpflichtungen im öffentlichen Dienst gibt, dass Menschen mit Behinderungen bei gleicher Qualifikation bevorzugt eingestellt werden müssen.
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    Der Großteil der Menschen mit Behinderungen arbeitet in den Werkstätten. Genau das ist so ein separierter Bereich, denn dort arbeiten Menschen mit Behinderungen und nichtbehinderte Kollegen nicht zusammen.
    Außerdem geht die Entlohnung in den Werkstätten nicht über ein Taschengeld hinaus. Das hat mit Mindestlohn nichts zu tun und auch nicht mit dem, was die Menschen dort leisten. Denn sie bringen sehr viel mehr Mehrwert ein, als sie geldlich bekommen. Die Zahlen, die mir bekannt sind, belaufen sich auf 160 Euro Taschengeld im Monat.
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    ZDFheute: Wieso ist es so wichtig, dass Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt integriert sind?
    Marcus Graubner: Das eine ist natürlich, dass man mit den eigenen Händen Geld verdient und nicht auf finanzielle Unterstützung angewiesen ist. Der zweite Aspekt ist, und das finde ich noch wichtiger, dass man eine Tagesstruktur hat, die mit Arbeit gefüllt ist und nicht mit Beschäftigungstherapie. Mit nutzbringender, mehrwertbringender Arbeit.
    Ich selbst bin in einer Arztpraxis am Empfang tätig und das klappt wunderbar. Ich habe die Möglichkeit für mich selbst, mir mein Brot zu verdienen. Ich bin in unserem Patientenkreis und in meinem Kollegenkreis anerkannt. Natürlich muss ich dabei genauso meine Arbeit machen, wie alle anderen. Das muss selbstverständlich sein.
    ZDFheute: Wie barrierefrei ist Deutschland?
    Marcus Graubner: Deutschland hatte sich eigentlich vorgenommen, bis 2022 im öffentlichen Nahverkehr barrierefrei zu sein. Das beinhaltet nicht nur die Züge, sondern beispielsweise auch, dass man sich mit dem Aufzug von Bahnsteig zu Bahnsteig bewegen kann. Das war das große Ziel. Ich sage jetzt nicht, dass nichts passiert ist, aber wir sind von einer Barrierefreiheit meilenweit entfernt.

    Es geht nicht darum, ein Paradies für Menschen mit Behinderungen zu schaffen, sondern Barrierefreiheit nutzt noch viel mehr Menschen etwas

    Marcus Graubner, Vorsitzender des Allgemeiner Behindertenverband in Deutschland e.V. (ABiD)

    Eine Rampe können beispielsweise eine Mutter mit Kinderwagen und auch ein Senior mit Rollator benutzen.
    Barrierefreiheit in Deutschland

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    ZDFheute: Welche Rolle spielt Diskriminierung für Menschen mit Behinderungen in Deutschland?
    Marcus Graubner: Wir erleben in den Beratungsstellen gegen Antidiskriminierung, dass die Zahl der gemeldeten Diskriminierungen steigt. Es gibt mehrere Arten von Diskriminierung. Zum Beispiel, wenn man eine Stelle nicht bekommt, obwohl man genauso qualifiziert ist, wie die andere, nichtbehinderte Person. Oder auch verbale Diskriminierung.
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    Wenn man gemeinsam aufwachsen würde, in inklusiven Schulen und Kindergärten zum Beispiel, dann wäre die Gefahr, dass Diskriminierung entsteht, geringer.

    Marcus Graubner, Vorsitzender des Allgemeiner Behindertenverband in Deutschland e.V. (ABiD)

    Aber wenn man separiert ist und es wenige Berührungspunkte zwischen Menschen mit und ohne Behinderung gibt, dann passiert sowas.
    Die Fragen an Marcus Graubner stellte Alice Pesavento.

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