ICE-Unglück in Eschede: "Minuten später wäre ich gestorben"
ICE-Unglück: Gedenken in Eschede:"Minuten später wäre ich gestorben"
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Vor 25 Jahren rast der ICE "Wilhelm Conrad Röntgen" in Eschede gegen eine Brücke. Für Überlebende und Hinterbliebene ist es wichtig, die Erinnerung wach zu halten.
Mit 200 Stundenkilometern rast der ICE 884 "Wilhelm Conrad Röntgen" am Vormittag des 3. Juni 1998 gegen eine Betonbrücke. Ein Waggon reißt einen Pfeiler weg, die nachfolgenden schieben sich ineinander. Beim bislang schwersten Bahnunglück der bundesdeutschen Geschichte im niedersächsischen Eschede kommen 101 Menschen ums Leben, 105 werden verletzt. Die Namen der Opfer sind an der Gedenkstätte auf Betonstelen nachzulesen.
Dort sind an diesem Samstag, 25 Jahre nach dem verheerenden Zugunglück, Hinterbliebene, Überlebende, Helfer und Anwohner am Mahnmal zusammengekommen. Zum Zeitpunkt des Unglücks um 10.59 Uhr gedachten sie der Opfer und legten Blumenkränze an der Namenswand der Todesopfer nieder. Für die Hinterbliebenen ist das Unglück immer noch präsent.
Hinterbliebener: Unfall war vermeidbar
Hinterbliebenen-Sprecher Heinrich Löwen sagt:
Der 78-Jährige hat damals seine Ehefrau und seine Tochter verloren. "Es ist nicht unbedingt leichter als früher, viele von uns sind auch älter geworden." Und damit manchmal auch einsamer. So ein Tag rufe einiges hervor. In einem Buch zum Jahrestag beschreibt er auch den langen Kampf um Entschädigung (30.000 Mark pro Todesopfer) und die Enttäuschung über die juristische Aufarbeitung. Ursache des Unglücks war ein gebrochener Radreifen, der sich an einer Weiche verhakte.
Eschede 1998: Helfer suchen nach Überlebenden (Archiv)
Quelle: ap
Strafverfahren gegen die Bahn und den Radreifenhersteller wurden nach langem juristischen Tauziehen 2003 eingestellt. "Ich kann jetzt über das Verhältnis zur Bahn nicht klagen, aber der Unfall war absolut vermeidbar", sagt Löwen. Die Kontrolle der Räder sei vernachlässigt worden, es habe kein Bewusstsein gegeben, dass ein Rad brechen kann.
Überlebender: Wichtig, dass nichts in Vergessenheit gerät
Udo Bauch lag nach dem Unglück mit schweren Verletzungen über Monate im künstlichen Koma. Er ist teilweise gelähmt. Seine Rettung kam im letzten Moment, wie der 55-Jährige heute sagt:
Bauch saß in Wagen 11 - allein im Abteil. Er hörte einen mörderisch lauten Knall. "Es war wie im Krieg", beschreibt er. "Es ist alles auf mich eingestürzt." Flehend habe er um Hilfe gerufen, sein Leben, Kindheit, Jugendzeit seien an ihm vorübergezogen. Der Polizist Andreas Effinghaus, der als erster seine Stimme hörte, wurde später sein Freund. Erst bei der Gedenkfeier vor fünf Jahren erfuhr Bauch, wer ihn unter dramatischen Umständen aus dem Waggon befreite: der Berufsfeuerwehrmann Friedemann Schuster. Die Begegnung mit ihm hat Bauch geholfen, für sich selbst die Ereignisse von damals besser zu sortieren.
Auch Udo Bauch veröffentlichte zum Jahrestag im Selbstverlag ein Buch über das Zugunglück - das zweite. "Von Herzen und mit viel Emotionen", wie er im Vorwort schreibt. Es ist ihm wichtig, dass nicht in Vergessenheit gerät, was aus seiner Sicht vermeidbar gewesen wäre. Und wichtig wäre es gewesen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen worden wären. Die Bahn habe grob fahrlässig gehandelt, weil sie den Zug mit einem abgefahrenen Radreifen auf die Reise geschickt habe.
Zugunglück in Eschede: Eine der Waggon-Achsen (Archiv).
Quelle: dpa
Psychologe: Gedenkfeier wichtig
"Es ist so lange Zeit vergangen, viele sagen, es muss jetzt gut sein. Aber für die Betroffenen ist es eine sehr schwere Erinnerung", sagt Psychologe Georg Pieper. "Es geht vielen vor dem Jahrestag schlecht, es herrscht eine große Anspannung." Pieper hat Opfer und Angehörige der ICE-Katastrophe betreut. Er gilt als einer der erfahrensten Trauma-Experten.
"Ich finde solche Gedenkfeiern sehr wichtig, um die Toten zu ehren und dem Leid der Betroffenen gerecht zu werden", sagt Pieper und ergänzt:
"Die Zeit heilt nicht alle Wunden, macht aber ruhiger, besonnener", so Krisenpsychologe Pieper. Das passiere bei Menschen, die viel darüber geredet und auch geweint hätten. Menschen, die sich zurückziehen, verbitterten dagegen oft.