"Wettbewerb" statt "Wettkampf":Bundesjugendspiele bekommen neuen Anstrich
von Clara Eberle
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Die Bundesjugendspiele - man erinnert sich mehr oder weniger gerne an sie zurück. Ab kommendem Schuljahr präsentieren sich die Spiele nun in neuem Gewand. Wie sieht das genau aus?
Die Bundesjugendspiele finden jedes Jahr statt. Für viele Kinder ein schönes Erlebnis - für viele aber auch nicht.
Quelle: AP
Ständiger Vergleich mit den Mitschülern, der Frust, wenn es nicht für eine Ehren- oder Siegerurkunde gereicht hat und das gefühlt ewige Warten zwischen den Disziplinen: So haben viele die Bundesjugendspiele in Erinnerung. Spaß oder gar ausreichend Bewegung? Eher nicht.
Jetzt wollen die einmal jährlich stattfindenden Spiele ihr verstaubtes Gewand ablegen und sich (zumindest teilweise) neu erfinden. Bereits 2021 entschied der Ausschuss für die Bundesjugendspiele und die Kommission Sport (SpoKo) der Kultusministerkonferenz (KMK), dass es den klassischen "Wettkampf" ab dem Schuljahr 2023/2024 nicht mehr geben wird.
"Wettbewerb" soll "Wettkampf" ersetzen - Normgrößen entfallen
Er wird durch den "Wettbewerb" ersetzt und gilt für die Klassenstufen 1 bis 4 in den Grundsportarten Leichtathletik und Schwimmen. Beim Gerätturnen können die Schulen dagegen weiterhin entscheiden, ob die Sportart als Wettkampf oder Wettbewerb stattfindet.
Was unterscheidet den Wettbewerb vom Wettkampf? Auf ZDF-Anfrage heißt es aus dem Bundesfamilienministerium: "Der Wettkampf ist nach internationalen Wettkampfregeln beziehungsweise nationalen Bestimmungen des Regelwerks des Deutschen Leichtathletikverbandes normiert. Der Wettbewerb ist nicht normiert."
Konkret bedeutet das, dass das Punktesystem in seiner jetzigen Form nicht mehr angewendet wird. Auf der Internetseite der Bundesjugendspiele heißt es dazu, dass bei Leichtathletik etwa das "starre Regelwerk" entfalle. So haben die Kinder mehr Versuche für die Disziplinen, Maßband und Stoppuhr spielen nur eine untergeordnete Rolle. Stattdessen gibt es die Einteilung in Zonen. Eine Punktwertung gibt es auf dieser Basis trotzdem.
Beim Turnen gibt es Aufgabenbereiche, die etwa "Schaukeln", "Arm-Bein-Koordination mit Musik" oder "Balancieren" beinhalten. Bei der Abnahme muss hier lediglich festgestellt werden, ob die Aufgabe erfüllt oder nicht erfüllt wurde. Gleiches gilt für Schwimmen. Laut Bundesfamilienministerium wird grundsätzlich empfohlen, den "Wettbewerb" bis zur Klassenstufe 6 in allen Sportarten durchzuführen.
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GEW-Landesvorsitzende in NRW: Kinder haben hoffentlich mehr Spaß am Sport
Ayla Çelik, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen, sieht in der Neuerung durchaus Vorteile. Insgesamt könne man durch die Veränderung hoffen, "dass wieder mehr Kinder Spaß am Sport entwickeln und nicht durch zu frühes Leistungsdenken abgschreckt werden", erklärt sie gegenüber ZDFheute.
Kinder für Sport und Bewegung zu begeistern, gelinge laut Çelik eher durch gemeinsamen Wettbewerb als "durch die Bestenauslese durch Wettkampf".
Auf die Frage, ob ein Sporttag nicht sinnvoller sei, um Kinder spielerisch an Bewegung heranzuführen, erklärt Çelik aber auch:
Dadurch könnten laut Çelik zugleich lange Wartezeiten vermieden werden.
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Hessisches Kultusministerium: "Wettkampf" weiterhin sinnvoll
Am Format des Wettkampfes für ältere Klassenstufen festzuhalten, ist aus Sicht des hessischen Kultusministeriums dennoch sinnvoll. Auf ZDF-Anfrage erklärt Philipp Bender, stellvertretender Pressesprecher: "Mit zunehmendem Alter spielt auch die pädagogische Perspektive der "Leistung" eine Rolle im Sport und in der Persönlichkeitsentwicklung."
"Auf der anderen Seite wären ohne den Wettkampfgedanken auch die entsprechenden Erfolge einer besonderen körperlichen Leistung nicht erfahrbar", erklärt Bender.
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Werden weiterhin vergeben: Ehren-, Sieger- und Teilnehmerurkunde
Ein entscheidender Aspekt, der sich übrigens nicht ändert - und dabei oft der Grund für traurige Gesichter ist - ist die Vergabe von Ehren-, Sieger- und Teilnehmerurkunde. Dazu sagt Çelik: "Es dürfte niemanden überraschen, dass den Kindern wohl bewusst ist, dass die Teilnehmerurkunde nur ein Trostpflaster für "nicht ausreichende" Leistungen ist. Insofern ist diese Urkunde alles andere als motivierend."
"Diese Kinder waren sehr enttäuscht", ergänzt Çelik. Aus ihrer Sicht sei die logische Konsequenz der Neuerung daher auch eine "neue" Einteilung.
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von Laren Müller
FAQ
Bundesjugendspiele - Lösung für mehr Bewegung?
Die Bundesjugendspiele - Sie bleiben wohl weiterhin eine Veranstaltung, auf die sich viele Kinder freuen, viele aber auch nicht. Aber können sie überhaupt dazu beitragen, dass sich die Jüngsten mehr bewegen?
Çelik sagt dazu: "Wir müssen die Bewegung unserer Kinder fördern; nicht nur an einem Tag im Jahr, sondern in jeder einzelnen Woche. Zwar ist es gut, dass sich die Bundesjugendspiele nun verändern, aber das Problem der fehlenden Bewegung wird dadurch nicht gelöst."
Die Geschichte der Bundesjugendspiele:
Die Bundesjugendspiele existieren in ihrer heutigen Form seit 2001. Zum 50-jährigen Bestehen schuf das Bundesfamilienministerium, das für die Bundesjugendspiele verantwortlich ist, damals ein neues, alternatives Format - den "Wettbewerb". Nach mehr als 20 Jahren ersetzt dieser nun den "Wettkampf" für Erst- bis Viertklässler.
In der BRD wurden die "Bundes-Jugendwettkämpfe" erstmals 1951 vom Bundesinnenministerium ausgerufen. Sie sollten in der Jugend "das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit erwecken". In der DDR gab es die "Kinder- und Jugendspartakiade".
Ursprünglich gehen die Bundesjugendspiele auf die "Reichsjugendwettkämpfe" zurück, die Carl Diem 1920 ins Leben rief. Im Hitler-Deutschland war Diem 1936 Generalsekretär des Organisationskomitees für die Olympischen Spiele. Für diese erfand er auch den berühmten Fackellauf.