Urteil aufgehoben:Boateng-Prozess muss neu aufgerollt werden
von Christoph Schneider
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Zweimal war der 35-jährige Ex-Nationalspieler Jerome Boateng bereits verurteilt worden. Doch das Bayerische Oberste Landesgericht hat einen neuen Prozess angeordnet.
Sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft hatten gegen das Urteil Revision eingelegt.
Quelle: Reuters
Nein, einen Sieger hat die Verlängerung im Boateng-Prozess nicht hervorgebracht. Es wird ein juristisches Rückspiel vor dem Landgericht (LG) München I geben, entscheidet das Bayerische Oberste Landesgericht als letzte Rechtsmittelinstanz und hebt das Urteil in vollem Umfang auf.
Fehler beim Verhalten von Richter entdeckt
Gegen das Urteil hatten sowohl Boateng als auch die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Im Revisionsverfahren werden nur Verfahrens- oder Rechtsfehler geprüft. Und die haben Bayerns höchste Strafrichter gefunden. Hauptgrund: Das Verhalten des Vorsitzenden Richters Andreas Forstner im Berufungsverfahren vor dem LG.
Er hatte die Verteidigung von Boateng dazu aufgerufen, das Verfahren nicht mit immer wieder neuen Beweisanträgen künstlich in die Länge zu ziehen und außerdem gesagt, dass sich das Prozessverhalten auf die Strafzumessung im Urteil auswirken könne. Boatengs Verteidiger stellten einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Forstner, der auch unter Mitwirkung von Forstner abgelehnt wurde.
Verteidigung von Boateng kritisiert Richter scharf
Für die Verteidigung ist klar: "Das Verfahren war erschütternd unfair", sagt Boatengs Anwalt Leonard Walischewski im heutigen Revisionsverfahren über den Prozess vor dem LG im vergangenen Oktober, "der Angeklagte Boateng war schon endgültig verurteilt, bevor das Berufungsverfahren überhaupt begonnen hatte". Boateng sei damals "in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt" worden, kritisiert der Anwalt.
"Prozesswidriges und willkürliches Verhalten" habe Forstner gezeigt, "der Vorsitzende wollte nicht aufklären."
Darum geht es bei dem Boateng-Prozess
Rückblick: 2018 in einem Karibik-Urlaub soll ein Streit zwischen Boateng und seiner Ex-Partnerin aus dem Ruder gelaufen sein. Laut Anklage soll er ein Windlicht nach ihr geworfen haben - außerdem habe er sie an den Haaren gezogen, einen Biss in den Kopf getätigt, den Daumen ins Auge gedrückt, sie mit Blut bespuckt und ihr einen Faustschlag in die Niere versetzt.
Dass das erste Verfahren vor dem AG München erst 2021 beginnt, ist Corona geschuldet - wegen der Pandemie sei eine frühere Terminierung nicht möglich gewesen, so das Gericht. Das AG München verurteilt Boateng 2021 wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 30.000 Euro - also insgesamt zu einer Zahlung von 1,8 Millionen Euro.
Im Berufungsverfahren vor dem LG München I unter dem Vorsitzenden Richter Forstner kommt es zu einer niedrigeren Geldstrafe, nämlich zu 1,2 Millionen, aber die Tagessätze werden erhöht, nämlich 120 Tagessätze à 10.000 Euro Damit wäre Boateng vorbestraft, denn die Grenze hier liegt bei 90 Tagessätzen.
Verteidigung: Ex-Freundin hat Vorwürfe erfunden
Die Staatsanwaltschaft hatte im Berufungsverfahren eine Bewährungsstrafe von anderthalb Jahren und zusätzlich eine Geldauflage von 1,5 Millionen Euro gefordert, drang aber mit dieser Forderung vor dem LG nicht durch.
Aber auch nicht die Verteidigung, die Freispruch für Boateng forderte: Die Ex-Freundin Sherin S., Mutter der gemeinsamen Zwillingstöchter, habe die Vorwürfe "im Kampf um die Kinder" erfunden und "instrumentalisiert". Auch habe es Widersprüche bei ihrer Aussage gegeben, so dass es am Ende "im Zweifel für den Angeklagten", also "in dubio pro reo" ausgehen müsse. Dazu der Vorsitzende Richter Forstner:
In einem nun durchzuführenden neuen, dann vierten, Verfahren vor einer anderen Strafkammer des LG München I werden auch die Argumente der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage neu geprüft, die eine härtere Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung gefordert hatten.
Ein neuer Prozess wird wahrscheinlich erst im kommenden Jahr durchgeführt. Und da gilt sowohl für den Angeklagten wie auch Ankläger: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel - ein Ausgang offen.
Christoph Schneider ist der Redakteur in der Fachredaktion Recht & Justiz des ZDF