50. Jahrestag: Autofreie Sonntage: Heute noch denkbar?

    50. Jahrestag:Autofreie Sonntage: Heute noch denkbar?

    Christian Thomann-Busse
    von Christian Thomann-Busse
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    Als Deutschland vor 50 Jahren seinen ersten autofreien Sonntag erlebte, ging es in der Ölkrise ums Spritsparen. Wären autofreie Tage heute ein Weg zu mehr Lebensqualität?

    Archiv: Autofreier Sonntag auf der Bundesautobahn A 17 bei Dresden
    Seit Jahrzehnten sind autofreie Sonntage ein kontrovers diskutiertes Thema. (Symbolbild)
    Quelle: AP

    Wer 1973 Kind war, erinnert sich vielleicht noch daran, wie wunderbar es sich damals, vor 50 Jahren, mit anderen Kindern auf der Straße spielen ließ. Autofahren war nämlich an diesem Novembersonntag verboten: Der 25. November 1973 war der erste von insgesamt vier autofreien Sonntagen. Verordnet von der Bundesregierung.
    Grund war die Ölkrise der 1970er-Jahre, die durch das Ölkartell Opec forciert wurde. Sprit war knapp - daher war der Plan, Treibstoff zu sparen. Drei weitere Sonntage mit Fahrverboten folgten im Dezember 1973 - dann war Schluss mit den Maßnahmen, die Sprit sparen sollten. Der Nutzen? Ist bis heute umstritten.
    Collage aus Bildern und Grafiken
    Die Ölkrise 1973 gehört zu den großen Crashes, die Deutschland erlebt hat. Welche zählen noch dazu und welche Folgen hatten sie? 27.10.2020 | 43:51 min

    Wie viel Vorgaben trägt die Bevölkerung mit?

    ADAC-Sprecher Andreas Hölzel sagt angesprochen auf die Frage, ob autofreie Sonntage heute überhaupt noch denkbar wären:

    Fakt ist, dass viele Fahrten vorgezogen oder im Anschluss an ein Fahrverbot nachgeholt würden.

    Andreas Hölzel, ADAC-Sprecher

    Als am jüdischen Feiertag Jom Kippur im Oktober 1973 ägyptische und syrische Truppen Israel angriffen, kam es zu wochenlangen Kämpfen (Jom-Kippur-Krieg). Auf die US-Unterstützung Israels reagierend verhängten die Mitgliedsstaaten des Ölkartells OPEC ein Ölembargo gegen die USA und andere Länder, die Israel unterstützten. Ölpreise stiegen drastisch an. Die Folgen für Deutschland: gebremstes Wirtschaftswachstum, hohe Inflation, Arbeitslosigkeit. Um Energie zu sparen, wurden Schwimmbäder geschlossen, Ferien verlängert, autofreie Sonntage und die Sommerzeit eingeführt.

    Hinzu kommt ein weiteres Problem: "Verbote provozieren schnell eine Abwehrhaltung", sagt die Hamburger Mobilitätssoziologin Katharina Manderscheid.

    Auto, Heizung, Ernährung: Sobald es um die eigene Privatsphäre geht, reagiert eine sehr laute Gruppe in der aktuellen Krisenzeit sehr empfindlich und vehement.

    Katharina Manderscheid, Mobilitätssoziologin

    Autofreier Sonntag in Berlin scheiterte

    Und doch gab es in jüngerer Vergangenheit Ideen, die an die autofreien Sonntage von 1973 erinnerten. So wäre es 2008 beinahe zu einem Autofahrverbot in Berlin gekommen. Damals hatten SPD und Grüne so einen flächendeckenden Tag gefordert, waren im Berliner Senat allerdings damit gescheitert.
    Was blieb, war ein autofreier Sonntag auf freiwilliger Basis am 1. Juni 2008. Eine aus rechtlicher Sicht übrigens vernünftige Entscheidung, wie die Wissenschaftlichen Dienste im Deutschen Bundestag im Jahr 2008 konstatierten: Für ein flächendeckendes Fahrverbot in Berlin aus ökologischen Gründen hätte es nämlich überhaupt keine rechtliche Grundlage gegeben.

    Verkehrsclub: Autofreie Tage nicht sehr effektiv

    Seit einigen Jahren gibt es außerdem den autofreien Tag am 22. September, an dem sich zahlreiche Kommunen beteiligen und bestimmte Straßen für Aktionen sperren.
    Michael Müller-Görnert, Verkehrspolitischer Sprecher vom Verkehrsclub Deutschland, erklärt:

    In der europäischen Mobilitätswoche passiert zwar schon eine Menge, es gibt aber effektivere Maßnahmen für die Umwelt als autofreie Tage.

    Michael Müller-Görnert, Verkehrspolitischer Sprecher vom Verkehrsclub Deutschland

    Damit meint er etwa bessere ÖPNV-Angebote in ländlichen Regionen oder die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs, der Steuervorteile für Dieselkraftstoffe und des steuerbefreiten Kerosins.

    Autofreie Sonntage bringen keine Verkehrswende

    Abseits der großen Umbrüche kann aber auch jeder Einzelne etwas tun. So hat Mobilitätssoziologin Manderscheid beispielsweise in einem Reallabor Teilnehmer begleitet, die für drei Monate in Hamburg aufs Auto verzichtet haben. Ergebnis: Mobilität mit öffentlichen Verkehrsmitteln mag anfangs ungewohnt sein, kann aber schnell zur alltäglichen Routine werden.

    Eigentlich braucht es oft nur einen kleinen Anschubser, andere Fortbewegungsarten auszuprobieren.

    Katharina Manderscheid, Hamburger Mobilitätssoziologin

    Wobei dann allerdings auch die Rahmenbedingungen stimmen müssen: "Hier in Hamburg sind die alternativen Verkehrswege bereits am Limit. Zu Pendelzeiten ist das schon eine Herausforderung - sowohl in den öffentlichen Verkehrsmitteln als auch auf den innerstädtischen Radwegen", so Manderscheid. Heißt: Wenn weniger Menschen ohne Auto mobil sein sollen, müssen Alternativen ausgebaut oder geschaffen werden.
    Und autofreie Sonntage wie vor 50 Jahren taugen dabei höchstens für schöne Kindheitserinnerungen  - aber nicht für eine echte Verkehrswende.

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