Interview
Medienforscher zu Twitter-Chef:Musks Vorgehen "inkompetent und gefährlich"
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Twitter-Chef Musk soll zurücktreten, so das Abstimmungsergebnis auf Twitter. Medienforscher Kettemann hält das für richtig. Musks Hin und Her sei "inkompetent und gefährlich".
"Soll ich als Chef von Twitter zurücktreten?", hat Twitter-Besitzer Elon Musk auf seiner Plattform abstimmen lassen und das Ergebnis war eindeutig. 57,5 der Umfrageteilnehmer stimmten für einen Rücktritt von Elon Musk. Das Abstimmungsergebnis gilt als Reaktion auf das ständige Hin und Her bei Twitter seit der Übernahme durch Elon Musk. Rechtswissenschaftler und Medienforscher Matthias C. Kettemann behält die neusten Ereignisse beim Mikroblogging-Dienst im Blick und meint: Elon Musk sei "inkompetent", seine Entscheidungen "erratisch".
ZDFheute: Sind die Schachzüge von Elon Musk genial oder doch chaotisch?
Matthias C. Kettemann: Ich persönlich halte das Hin und Her von Elon Musk weniger für genial und mehr für chaotisch und willkürlich. Das ist nicht die Art und Weise, wie man eine Plattform reguliert. Plattformen brauchen Vertrauen, sie brauchen klare Standards, sie brauchen ethische und rechtliche Regeln.
Meinungsäußerungen zu regulieren, ist hochkomplex. (...) Musk denkt, dass er Twitter so behandeln kann wie ein Ingenieursproblem - wie man einen Menschen schnell zum Mars kriegt oder wie man eine gute Autobatterie baut. Aber Meinungsäußerungen kann man nicht lösen. Sie stellen sich jeden Tag aufs Neue und man kann ihnen nur mit Transparenz und Rechtsstaatlichkeit begegnen. Und nicht durch erratisches Chaos, wie es aktuell bei Twitter herrscht.
Elon Musk soll als Twitter-Chef zurücktreten. Das hat seine eigene Umfrage ergeben. Doch wie geht es weiter mit Twitter und wird der Milliardär zum Problem für die Demokratie?
19.12.2022 | 37:01 min
ZDFheute: Wie lässt sich die Entlassungswelle bei Twitter erklären?
Kettemann: Das war dem Narrativ, der Erzählung geschuldet, mit der Elon Musk angekommen ist. Er hat ja gemeint, er wird alles neu machen, er wird Meinungsfreiheit auf Twitter herrschen lassen und vor allem wird er diesen kalifornischen Moderatoren und Moderatorinnen das Handwerk legen, die seien viel zu liberal.
Und da ist es durchaus folgerichtig, dass er all jene feuert, die für das alte Twitter standen. (...) Er wollte einfach eine neue Welt designen, und er musste erkennen, dass das sehr, sehr schwierig ist. Meinungen zu regulieren, Meinungsmanagement zu betreiben, ist einfach schwerer, als Menschen auf den Mars zu setzen.
Ich hoffe, dass er das Wort, das er jetzt gegeben hat, jetzt auch hält. Er hat vor kurzem mal getweetet "Vox populi, vox Dei", übersetzt "Die Stimme des Volkes ist die Stimme, die zählt". Naja, jetzt hat das Volk abgestimmt.
ZDFheute: Hat sich Elon Musk bei der Übernahme von Twitter überschätzt?
Kettemann: Ja. Was ja nicht schlecht ist für Leute, die große Ideen haben. Wenn man darüber nachdenkt, vor welchen Herausforderung Space X oder Tesla gestanden haben, dann war es am Anfang ganz gut, dass sich Elon Musk da nicht hat Nein sagen lassen.
Aber man weiß aus anderen Unternehmen, dass er dort gute Teams hatte, die ihn beraten und abgefangen haben, die seine Ideen in umsetzbare Unternehmenspolitik gegossen haben. Das scheint bei Twitter nicht so zu sein.
ZDFheute: Darf Twitter die Meinungsfreiheit einschränken?
Kettemann: Plattformen wie Twitter können gar nicht zensieren, das können nur Staaten. Was die Plattformen können, ist: nach bestimmten Regeln Inhalte erlauben und nicht erlauben. (...)
In der Vergangenheit war es so, dass die Plattformen viel zu wenig moderiert haben. (...) Das Problem hier ist eher, dass einzelne Stimmen - gerade aus dem rechten Lager, gerade die Republikaner in Amerika - sich auf den Schlips getreten fühlen, wenn ihre Inhalte wegen Desinformation gesperrt werden.
Hingegen belegen alle empirischen Studien, dass Plattformen eben nicht ideologisch moderieren, aber dass von rechter Seite einfach mehr Desinformationen produziert werden. Und deswegen werden die proportional stärker moderiert, gelöscht, gesperrt. Und dagegen wollte Twitter angehen, dagegen wollte Musk angehen und hat sich den Applaus der Rechten abgeholt.
Der Prozess des Twitter-Kaufs, zusammengefasst in acht Akten:
Quelle: ZDF