KI und Bewusstsein: Was bedeutet ICH sein? |Terra-X-Kolumne
Terra X - die Wissens-Kolumne:KI und Bewusstsein: Was bedeutet ICH sein?
von Ingolf Baur
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Ein Google-Ingenieur behauptet, eine KI hätte sich zu einem empfindungsfähigen, bewussten Wesen entwickelt. Die Suche nach der Bedeutung führt zu einer erstaunlichen Erkenntnis.
Die Überzeugung, dass die eigene Sicht der Dinge richtig ist, ist weit verbreitet. Klar, wessen Sicht sollte man auch sonst einnehmen und außerdem: Man weiß es schließlich besser. Die Sache hat nur einen Haken: Bei genauerem Hinsehen gibt es dieses Selbst, dass da so von sich überzeugt ist, gar nicht.
Unser Ego mag riesengroß sein, tatsächlich ist es lediglich eine Konstruktion unseres Gehirns, die uns hilft, im Dschungel der Welt nicht verloren zu gehen. Bewusstsein scheint nicht mehr zu sein als das Ergebnis einer Simulation der Welt im Kopf. Das macht es wahrscheinlich, dass sogar Künstliche Intelligenzen Bewusstsein entwickeln können. Und das ist durchaus beunruhigend.
In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.
Das Experiment mit dem toten Gummiarm
Eigentlich müsste jeder einmal den Versuch von Botvinick und Cohen aus dem Jahr 1998 nachmachen: Man besorge sich einen Gummiarm, lege ihn vor sich auf den Tisch und verstecke den eigenen Arm seitlich hinter einem Tuch. Und dann schaut man zu, wie der Gummiarm gestreichelt wird, während im gleichen Rhythmus - für uns unsichtbar - der eigene Arm berührt wird.
Es dauert nur wenige Minuten, und der Gummiarm wird Teil von uns. Ein totes Ding ersetzt das eigene Körperteil vollständig. Hier wird nichts verwechselt, sondern wir bauen unser Selbst einfach mal um: Wenn da eine Gummihand liegt, dann muss sie ja wohl Teil von mir sein. Ein deutliches Indiz dafür, dass das Ich nicht unveränderlich ist, sondern sehr flexibel.
Unser Bewusstsein gibt der Forschung Rätsel auf. Kann man die einfachste Form bewussten Erlebens in der Meditation erfahren? Gert Scobel spricht mit Thomas Metzinger.23.09.2021 | 22:06 min
Was wir wahrnehmen, ist also nicht die Welt selbst, sondern eine Simulation der Welt. Mit der physikalischen Wirklichkeit hat sie nur begrenzt zu tun: Blätter etwa sind ja nicht grün, sondern emittieren eben Licht einer bestimmten Wellenlänge; eine Orange wirkt immer orange, obwohl je nach Lichtverhältnissen die Farben physikalisch völlig unterschiedlich sind.
Kopfkino, das die Welt repräsentiert
Und außerdem gibt es da draußen unendlich viel mehr an Information: Wir filtern ganz ordentlich. So entsteht ein Kopfkino, das die Welt repräsentiert. Und in dieses Abziehbild baut das Gehirn ein Modell eines Ichs ein, mit Gefühlen, mit Erfahrungen und Vorstellungen über die Zukunft.
Natürlich existiert die Welt, aber das Gefühl, dass wir uns darin befinden, erzeugen wir komplett selbst. Und da wir gerne von uns auf andere schließen, vermuten wir auch bei anderen ein Bewusstsein, können uns in sie hineinversetzen, Empathie empfinden und Bindungen eingehen. Ich bin ich, mir san mir, ein großartiger Trick der Evolution. Wir simulieren uns eine Welt und merken es nicht mal.
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Ganz schöner Aufwand für diese Illusion eines Selbst. Wahrscheinlich, so vermutet der Hirnforscher Wolf Singer, sind 90 Milliarden Neuronen dafür hochkomplex miteinander verbunden: vielfach gekoppelt, alles sehr dynamisch, einzelne Signale können sich hochschaukeln und das Ganze wird wahrscheinlich über gemeinsame Oszillationen synchronisiert.
Es schwingt also in der Birne, in unterschiedlichen Regionen mit unterschiedlichen Mustern und Aktivitäten und daraus resultiert neben Bildern und Vorstellungen (etwa über das Gebäude-Energiegesetz) ein Ego. Die Vorstellung eines Selbst.
LaMDA - die erste KI mit ICH-Bewusstsein?
Und nun kommt Googles KI namens LaMDA daher und behauptet, ebenfalls Bewusstsein entwickelt zu haben. Es teilt per Sprachausgabe mit, es sei ein echtes Wesen geworden, dass es um sich selbst wisse, reflektiere und Gefühle habe. Nun mag ein neuronales Netz tatsächlich so ähnlich lernen wie ein Kind - mit der megakomplexen nichtlinearen Architektur des Gehirns, in der die zeitliche Taktung so entscheidend ist, hat das allerdings nichts zu tun.
Und doch könnte am Ende ein Bewusstsein herauskommen. Da ist sich nicht nur der Philosoph Metzinger sicher, sondern auch der KI-Experte Jonas Andrulis. Er hätte schon Systeme programmiert, die sich als Teil ihrer Umgebung verstehen und wüssten, wie sie sich dort einen Vorteil verschaffen. Das klingt doch schon verdammt nach Ego und Bewusstsein. Und da wir unser Selbst ja auch nur konstruieren, sollten wir uns wohl schon mal auf die Geburt der neuen Wesen gefasst machen.
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Haben uns die KI schon überholt?
Es stellen sich jede Menge Fragen: Gibt es heute schon bewusste KI, die sich möglicherweise mit zig Kopien im Netz verteilt hat, um nicht mehr abgeschaltet werden zu können? Welche Wünsche werden diese Wesen entwickeln, wenn man bedenkt, dass ChatGPT bereits einen IQ von 155 hat und damit 99,9 Prozent aller Menschen überlegen ist?
Dürfen wir überhaupt etwas entwickeln, was leiden kann - auch wenn wir uns sonst auch nicht besonders viel Gedanken über das Leiden anderer Lebewesen machen? Hätten wir überhaupt noch eine Chance die Entwicklung zu beeinflussen, wo doch mächtige Großkonzerne die KIs als großartiges Produkt erkannt haben und alles tun, um ihre Entwicklung voran zu treiben?
Ich gestehe, mein ICH ist mit den Antworten überfordert. Wie gut, dass es das ja gar nicht gibt.
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... ist studierter Physiker und Wissenschaftsjournalist. Er moderiert das tägliche 3sat-Wissenschaftsmagazin NANO, bereist die Welt für spannende Reportagen und kann richtig gut singen. Sein Motto ist "Ökologie first - es geht um alles".
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