Solidarität in sozialen Medien: Ein Like ist ein Anfang
Solidarität in sozialen Medien:Tue Gutes und rede nicht nur darüber
von Michael Kniess
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Offen und solidarisch - so zeigt man sich heute gerne in den sozialen Medien. Alles nur ein Lippenkenntnis und Selbstdarstellung oder doch Grundstein für echtes Engagement?
Solidarität in sozialen Medien: reine Selbstdarstellung oder Möglichkeit für mehr?
Quelle: imago
Offen, solidarisch und bewusst - so zeigt man sich heute gerne auf Instagram, Facebook und Co. Doch ist diese ins Schaufenster gestellte Solidarität nur Mode und Selbstdarstellung? "Nein", findet Christian Gürtler.
Der Medienwissenschaftler und Ethiker von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) ist überzeugt, dass Solidaritätsbekundungen online grundsätzlich auch in konkretem Handeln münden.
Vom World Wide Web auf die Straße
Natürlich ist da erstmal nur ein Like, Teilen oder Kommentar.
Davon zeugten Bewegungen wie "Black Lives Matter" oder die #MeToo-Debatte.
Caritas International unterstreicht zudem, dass gerade bei großen und medial präsenten Krisen und Katastrophen in der Vergangenheit eine Anteilnahme auf Social-Media-Kanälen mit einem sehr hohen Spendenaufkommen einhergegangen ist.
Aus Sicht des Not- und Katastrophenhilfswerks führen Solidaritätsbekundungen im World Wide Web in vielen Fällen zu tatsächlich gelebter Solidarität. Sprich: Aus der ersten Betroffenheit wird konkretes Engagement.
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"Die jungen Menschen reden nicht nur, sie handeln auch"
Ähnliches berichtet Ulrich Lilie. Der Präsident der Diakonie Deutschland betont: "Gerade bei jungen Menschen sehe ich eine große Empfänglichkeit für die Nöte ihrer Mitmenschen oder den großen Problemen unserer Zeit, wie den menschengemachten Klimawandel. Hier reden die jungen Menschen nicht nur, sie handeln auch."
Dennoch ist der mediatisierte Alltag bei weitem kein Selbstläufer für mehr Bewusstsein und Engagement. Denn Awareness für die weltweiten Krisen und Herausforderungen wird gerade in letzter Zeit schier überfrachtet.
Christian Gürtler betont: "Für einen besseren Zugang zu Trinkwasser in Afrika? Gegen das Leid in der Ukraine? Man weiß gar nicht, wofür und wogegen man sich zuerst einsetzen soll." Diese zunehmende Überforderung führe immer mehr zu einem Zurückziehen.
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Wenn die Aufmerksamkeit fehlt
Hinzu kommt: Um Bewusstsein für eine weltweite Herausforderung oder eine humanitäre Krise zu erzielen, braucht es eine entsprechende öffentliche Aufmerksamkeit und Stimmgewalt. "Ein Thema muss erstmal im Trend sein, damit Solidaritätsbewegungen entstehen und das ist bei vielen Weltproblemen oder Entwicklungsländern schlichtweg nicht der Fall", gibt Gürtler zu bedenken.
Deshalb kommt es für den Ethiker und Medienwissenschaftler in erster Linie darauf an, dass sich Menschen mit den Dingen auseinandersetzen. "Dann", so sein Resümee, "haben wir schon viel gewonnen".
Die sozialen Medien sind dabei hilfreich. Das betont auch Caritas International: Die Ukraine-Flagge im eigenen Profil oder das Kundtun der eigenen Sorge über den voranschreitenden Klimawandel und seine Folgen - all das sei immer wieder nur der erste Schritt zu einem langfristigen Engagement.
Gutes Gefühl und weniger schlechtes Gewissen
Und doch: "Wir erleben einen ähnlichen psychologischen Effekt wie bei einer Spende", so Christian Gürtler.
Und weiter: "Bis zum konkreten Handeln ist da natürlich noch ein weiterer Schritt nötig, aber der erste ist durch ein Like oder ein Teilen gemacht."
Auch Ulrich Lilie wirbt für diesen weiteren Schritt: "Freiwilliges Engagement ist unverzichtbar und: Es lohnt sich und bereichert - manche ein Leben lang. Das sollte die kollektiv mögliche Lernerfahrung sein - und zwar nicht nur ideell. Sie sollte in der Bevölkerung so selbstverständlich und attraktiv wie möglich sein. Und darauf sollten wir alle Anstrengungen und Debatten konzentrieren."