1 (-) Der Kulturwissenschaftler Andreas Bernard hat eine packende Studie über die Genese des Selbst in der digitalen Kultur verfasst. Bernards Befund: Die Techniken der Selbstdarstellung haben ihre Ursprünge im 19. Jahrhundert, als in Gefängnissen und Psychiatrien zur Kontrolle von Straftätern die Profilerstellung entwickelt wurde. Heute geben wir unsere Profildaten an Google und Facebook freiwillig heraus. 104 Punkte
2 (-) Die Studie des Historikers Ibram Kendi ist ein halbes Jahr vor dem Wahlsieg von Donald Trump erschienen. Jetzt liegt das Buch auf Deutsch vor: In der Chronik, die von den Puritanern bis zur Black-Lives- M atter-B ewegung reicht, zeigt der Historiker, warum die Gesellschaft der USA nach wie vor auf rassistischen Werten basiert. Ein Buch, so schmerzhaft wie informativ. 69 Punkte
3 (-) Warum stieg Europa in der Renaissance zur Weltdominanz auf? Diese Frage beantwortet der Historiker Bernd Roeck in seinem faszinierenden, faktenreichen Panorama. Seine Gründe für den Siegeszug seit 1500: Die italienische Kunst, die Ideen des Humanismus, der Rückbezug auf die Antike, die Technikbegeisterung, aber auch die Kolonialisierung machten den Kontinent selbstbewusst. 65 Punkte
4 (1) Der Soziologe Andreas Reckwitz hat eine originelle Generaltheorie unserer Epoche vorgelegt: Nach der industriellen Moderne herrsche im Westen ein Kulturkapitalismus, der wieder soziale Klassen kenne, die sich aber nach kultureller Dominanz sortieren. Reckwitz erzählt, wie der Drang zum Singulären den nach Gleichheit ablöst – und so neue Eliten und Abgehängte, Spaltungen und Konflikte entstehen. 57 Punkte
5 (-) Geht das: für eine tolerante Flüchtlingspolitik kämpfen und zugleich deren Risiken diskutieren? Dem britischen Philosophen David Miller ist der Spagat gelungen. Er zeigt, dass es keinen Widerspruch gibt zwischen der Verteidigung von Bürgerrechten und dem Engagement für Menschenrechte. Der Brite lässt dabei einen Kompromiss zwischen liberaler und realistischer Immigrationspolitik erkennen. 54 Punkte
6 (-) Emilia Smechowski ist in Polen geboren. Als Kind wanderte sie mit ihren Eltern nach Deutschland aus, wo sie sich der deutschen Kultur völlig anpassen musste. In ihrem persönlichen Buch reflektiert sie über die Gründe ihrer Assimilation, den Druck im Elternhaus und die Suche nach einer deutsch-polnischen Identität. Am Ende zeigt die Autorin, warum so viele Polen in Deutschland unsichtbar bleiben. 52 Punkte
7 (-) Die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann ist auch ein Mythos: Ihre Auftritte, ihre Beziehungen zu Paul Celan und Max Frisch, ihre glamouröse Aura und ihr mysteriöser Tod machten sie zu einer der faszinierendsten Intellektuellen der Nachkriegsgeschichte. Ina Hartwig hat endlich eine entmystifizierende Biografie über diese ehrgeizige, so fragile wie derbe Diva geschrieben, die ein Medienprofi war. 48 Punkte
8 (-) 1977 galt im westdeutschen Basketballsport eine Obergrenze von einem Ausländer pro Team. In Göttingen war der Platz durch einen Mann aus Los Angeles besetzt: Wilbert Olinde. Er kam ohne Erwartungen und machte schnell Karriere. Das Buch erzählt Olindes verblüffenden Aufstieg und eine Geschichte von Rassismus, Anpassung und Ausgrenzung. Ein kluges Sachbuch, spannend wie ein Roman. 41 Punkte
9 (7) Bis zum Zweiten Weltkrieg war es der Dreißigjährige Krieg, der als Referenzgröße wahren Schreckens und schlimmster Verwüstung galt. Herfried Münkler erzählt, wie dieser Krieg, der nicht nur ein Drittel der Bevölkerung das Leben kostete, sondern auch die europäische Staatenordnung zerstörte, der Anfang einer neuen Epoche wurde und eine entscheidende Friedensordnung zuwege brachte. 36 Punkte
10 (-) Rechtlich ist Jakob Augstein der Sohn des "Spiegel"-Gründers Rudolf Augstein. Doch sein leiblicher Vater ist der Schriftsteller Martin Walser, wie Jakob Augstein 2002 erfuhr. Jetzt haben Vater und Sohn einen Gesprächsband veröffentlicht: Sie reden über den Krieg, das Dritte Reich, das Schreiben, Walsers Jugend am Bodensee und natürlich über Hölderlin. Nur der Sex wird ausgespart. Nicht aber die Liebe. 28 Punkte
Jedes Jury-Mitglied der Sachbuch-Bestenliste vergibt monatlich an vier Sachbücher je einmal 15, 10, 6 und 3 Punkte.
Die Jury der Sachbuch-Bestenliste: René Aguigah (Deutschlandfunk Kultur), Peter Arens (ZDF), Susanne Billig (Deutschlandfunk Kultur), Ralph Bollmann (F.A.S.), Stefan Brauburger (ZDF), Alexander Cammann (DIE ZEIT), Gregor Dotzauer (Der Tagesspiegel), Heike Faller (DIE ZEIT), Daniel Fiedler (ZDF), Svenja Flaßpöhler (Deutschlandfunk Kultur), Jenny Friedrich-Freksa (Kulturaustausch), Manuel J. Hartung (DIE ZEIT), Thorsten Jantschek (Deutschlandfunk Kultur), Ekkehard Knörer (Merkur), Inge Kutter (DIE ZEIT), Hannah Lühmann (DIE WELT), Ijoma Mangold (DIE ZEIT), Tania Martini (taz), Christoph Möllers (HU Berlin), Jutta Person (freie Literaturkritikerin), Bettina von Pfeil (ZDF), Jens-Christian Rabe (Süddeutsche Zeitung), Christian Rabhansl (Deutschlandfunk Kultur), Anne Reidt (ZDF), Anna Riek (ZDF), Stephan Schlak (Zeitschrift für Ideengeschichte), Hilal Sezgin (freie Autorin), Catrin Stövesand (Deutschlandfunk), Elisabeth von Thadden (DIE ZEIT), Julia Voss (Leuphana-Uni Lüneburg)
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