Verbesserte Arbeitszeitmodelle, Fortbildungsangebote, Kopfgeld- und Vermittlungsprämien: Inzwischen verfahren rund die Hälfte aller Kliniken nach der Devise, Anreize zu schaffen, um Mitarbeiter zu rekrutieren. Gerade in Spezialbereichen der Intensivpflege oder im OP-Bereich bleiben viele Stellen offen. Die Folgen sind weitreichend: Nicht alle Patienten, bei denen eine ärztliche Behandlung notwendig wäre, können auch behandelt werden.
Je höher die Prämie, desto höher die Motivation. So bietet die Uniklinik in Köln zum Beispiel eine Prämie von 1000 Euro netto für einen Mitarbeiter in der Allgemeinpflege an, 1500 Euro für einen Mitarbeiter in der OP-Pflege. Je höher die Prämie, desto höher die Motivation – in einigen Kliniken werden Höchstsummen von 10.000 Euro für den Vermittler und 15.000 Euro für den neu eingestellten Mitarbeiter ausgelobt.
Problem verlagert
Dass diese Vorgehensweise rechtens ist, erklärt Catharina Hansen von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. „Es gibt keine Vorschriften, die es untersagen, zur Personalgewinnung auch finanzielle oder materielle Anreize einzusetzen.“ Dass dies überhaupt notwendig ist, zeige, wie groß die Probleme bei der Gewinnung von Pflegefachkräften seien. „Die Krankenhäuser nutzen alle Möglichkeiten, um freie Stellen besetzen zu können. Kein Krankenhaus möchte wegen Personalmangel Stationen schließen müssen.“
Für Verbraucher sei dieses Vorgehen schwierig: „Den Abwerbe-Wettbewerb überstehen finanziell gut gestellte Krankenhäuser besser, sodass in den anderen Krankenhäusern unter noch größerem Druck gearbeitet werden muss. Dies führt vermutlich zur Abwanderung weiterer Pflegekräfte – ein Teufelskreis.“ Das Abwerben führe eben nicht zu mehr Pflegekräften, sondern nur zur Verlagerung des Problems in andere Häuser, so die Pflegeexpertin.
Pflege-Aktion des Gesundheitsministeriums
Gesundheitsminister Jens Spahn spricht in seiner „Konzentrierten Aktion Pflege“ davon, dass in den kommenden Jahren 50.000 Stellen in der Pflege besetzt werden müssen. So gibt es ab Januar 2019 in vier Bereichen des Krankenhauses Personaluntergrenzen. Auf der Kardiologie sollen beispielsweise in der Nachtschicht nicht mehr als 24 Patienten auf eine Pflegekraft kommen. „24 kardiologisch erkrankte Menschen werden nachts von einer Pflegekraft betreut – das löst keine Jubelstürme bei uns aus. Das ist ein schlechtes Personalniveau, das dort festgeschrieben wird“, sagt Catharina Hansen.
In Pflegeheimen sollen den Plänen zufolge 13.000 zusätzliche Stellen geschaffen werden. Einrichtungen mit bis zu 40 Bewohnern erhalten eine halbe Pflegestelle, Einrichtungen von 41 bis 80 Menschen eine Pflegestelle, Heime mit 81 bis 120 Bewohnern eineinhalb und Einrichtungen mit mehr als 120 Bewohnern zwei Stellen zusätzlich. „Das ist auch keine herausragende Verbesserung für die Pflegebedürftigen. Ob und wann die Stellen mit Fachkräften besetzt werden können, ist offen“, so Hansen.
Schlechtes Image
Hohe Belastung, schlechte Arbeitsbedingungen bei schlechter Bezahlung: Insgesamt leide der Pflegeberuf unter seinem schlechten Image, sagt die Pflegeexpertin: „Die Bezahlung ist zu schlecht, vor allem in der Altenpflege. Die körperlichen und psychischen Belastungen sind häufig hoch, ein betriebliches Gesundheitsmanagement wird noch nicht ausreichend angeboten.
Die Arbeitszeiten schrecken ab: Nachtdienste, Wochenenddienste und manchmal sogar sogenannte Schaukeldienste, in denen alle ein, zwei Tage die Schicht wechselt. Durch Personalengpässe müssen viele Pflegekräfte auch an freien Tagen kurzfristig einspringen“, berichtet Catharina Hansen. Darüber hinaus gebe es zu wenige Entwicklungsmöglichkeiten.
Mehr Personal finden
Als Lösungsansätze für den Pflegekräftemangel sieht Hansen die Möglichkeit, Teilzeitkräfte zur Rückkehr in die Vollzeit zu motivieren, eventuell durch verbesserte Planungssicherheit bei Dienstplänen oder durch mehr Einsatz von „Springern“ für Krankheitsfälle. „Berufsrückkehrer könnte man durch bessere Bedingungen gewinnen und außerdem Arbeitskräfte aus dem Ausland rekrutieren.“ Dafür müsse aber sichergestellt werden, dass ausreichende Qualifikationen und Deutschkenntnisse vorhanden sind. „Sowohl im Krankenhaus als auch im Altenheim ist eine barrierefreie Kommunikation mit Patienten und Bewohnern die Voraussetzung für gute und individuelle Pflege“, sagt Pflegeexpertin Catharina Hansen.