Neuropsychologen sprechen in Fällen der Persönlichkeitsveränderung von einem Frontalhirnsyndrom oder auch vom Dysexekutiven Syndrom. Beide Bezeichnungen gelten in der Fachwelt als Hilfskonstruktionen, da sie das von Fall zu Fall sehr individuell ausgeprägte Phänomen nur unzureichend erfassen. Vielen Betroffenen gemein ist: Nach dem Unfall sind sie nicht mehr in der Lage, sich flexibel auf neue Situationen einzustellen. Das problemlösende Denken und eine vorausschauende Handlungsplanung sind gestört. Irrelevante Reize in der Umgebung können nicht mehr von relevanten unterschieden werden.
Fehlende Impulskontrolle
Sie stehen ständig unter Stress, sind schnell erschöpft und kaum noch belastbar. Am problematischsten für die Beteiligten ist jedoch die so genannte Impulskontrollstörung, das heißt, es kommt regelmäßig zu impulsiven Wutausbrüchen aus scheinbar nichtigen Anlässen. Manche zeigen auch eine gewisse Distanzlosigkeit. Sie duzen plötzlich wildfremde Menschen und missachten gesellschaftliche Konventionen von Höflichkeit. Bei Routinehandlungen dagegen gibt es in der Regel keine Probleme. Personen mit einer Schädigung des Frontalhirns sind hier meist unauffällig und können Alltagsangelegenheiten wie kochen, einkaufen oder Termine wahrnehmen ganz gut bewältigen.
Gerade weil die Betroffenen im Alltag auf den ersten Blick „normal“ wirken, können die Menschen in ihrem Umfeld nicht nachvollziehen, dass ihr problematisches Verhalten wie „fremdgesteuert“ ist und der Patient selbst wenig Einfluss darauf hat. Bei vielen Betroffenen fehlt zudem die Krankheitseinsicht. Sie fühlen sich nicht anders als vor dem Unfall, bekommen aber vom Umfeld immer wieder vorgeworfen, sie seien irgendwie „verkehrt“. Das führt zu Unverständnis und gegenseitigen Schuldvorwürfen.
Drohende Vereinsamung
Freunde und Bekannte ziehen sich zurück, Ehepartner trennen sich, weil sie mal einen anderen Menschen geheiratet haben und eine reife, partnerschaftliche Beziehung plötzlich nicht mehr möglich scheint. Manchmal ziehen sich die Betroffenen auch selbst aus ihrem sozialen Umfeld zurück. Die Frustrationen, denen sie täglich ausgesetzt sind, könnten laut Psychologen neben der geringen Belastbarkeit auch ein Grund dafür sein, dass Antrieb und Eigeninitiative mit der Zeit immer mehr zurück gehen.
Strategien können helfen
Das Erkennen und korrekte Einordnen der Symptomatik ist essentiell wichtig, um so früh wie möglich entgegenwirken zu können. Doch erst wenn eine grundlegende Krankheitseinsicht da ist, können Hilfestellungen greifen. In Therapiesitzungen lernen die Patienten, sich selbst zu beobachten. Ziel ist es, eine kritische Situation rechtzeitig zu erkennen und mit dem Gegenüber zu kommunizieren, dass man eine Pause braucht. Wenn nichts mehr hilft, muss die Situation verlassen werden, bevor es zum Wutausbruch kommt. Oft braucht es Jahre, bis die antrainierten Verhaltensalternativen eingespielt sind und wirklich greifen. Doch sie sind der einzige realistische Weg, um nicht immer wieder in Konfliktsituationen zu geraten. Denn im klassischen Sinne heilbar ist die durch ein Trauma ausgelöste Persönlichkeitsveränderung nicht.
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