Durchschnittlich beginnt die Erkrankung mit circa 14 bis 15 Jahren. Es häufen sich jedoch Fälle mit Beginn des 10. Lebensjahres. Trotz der heutigen medizinischen Möglichkeiten sterben immer noch zwischen 10 und 15 Prozent der Betroffenen an den Folgen der Erkrankung. Damit zählt Magersucht zu den häufigsten Todesursachen bei jungen Mädchen und Frauen.
Körperwahrnehmung als hilfreiche Therapie
Seit 30 Jahren arbeitet die Psychotherapeutin Gabriele Riess als Köpertherapeutin in Berlin. Vor 15 Jahren hat sie sich auf die Behandlung mit essgestörten Patienten spezialisiert. Ihre Erfahrung, aber auch die Rückmeldung ihrer Patienten bestätigen, dass die Betroffenen ihre falsche Körperwahrnehmung am ehesten durch Achtsamkeit, Berühren und Fühlen loswerden.
Die meisten Patienten haben bereits alles erlebt, was die Psychiatrie zu bieten hat, von starken Antidepressiva bis hin zu Zwangsernährung. „Und nicht wenige sagen, dass ihnen nur die Körperpsychiatrie etwas bringe“, so die Therapeutin.
Nach wie vor sind die biologischen und die sozialen Ursachen für die Entstehung dieser Erkrankung nicht vollständig aufgeklärt. Der Haptik-Forscher und Psychologe Martin Grunwald hat in seinem Leipziger Labor allerdings herausgefunden, dass viele Magersüchtige eine funktionelle Störung in einem Gebiet der rechtsseitigen Hirnregion aufweisen. Diese führe zu starken Einschränkungen bei der Tastsinnwahrnehmung. Des Weiteren konnten seine Testergebnisse aufzeigen, dass solche neurobiologischen Defizite die Ursache für die Störung des Körperschemas, also der Wahrnehmung der eigenen Ausmaße des Körpers bei Magersüchtigen sind.
Taktile Stimulation schlägt verbale Hinweise
Martin Grunwald ist davon überzeugt, dass es nicht hilft, Magersüchtige verbal auf ihre Unterernährung hinzuweisen. Er empfiehlt deshalb eine intensive Behandlung mit taktilen Reizen, um dem unterentwickelten Tastsinnsystem auf die Sprünge zu helfen.
Dazu gehören taktile Stimulation durch „Hinweisreize“. Ein Stofftuch, das sehr eng um den Bauch geschlungen wird, mache bewusst, wie ausgemergelt der Körper in Wirklichkeit ist. Dies führe am ehesten zu einem gesünderen Essverhalten, so auch Gabriele Riess.
Taucheranzüge sollen helfen, Grenzen zu fühlen
Martin Grunwald hat den Ansatz mit den „Hinweisreizen“ weiterentwickelt. Als Therapieansatz empfiehlt er enge Neoprenanzüge. Durch einen solchen Ansatz werde der ganze Körper taktil stimuliert. Während sich essgestörte Patienten darin bewegen, erhalte das Gehirn besonders klare Signale, wo die Grenzen des eigenen Körpers verlaufen, so der Haptik-Forscher. Auf dieser Basis können die Essgestörten nach und nach ein realistischeres Körperschema erlernen und ausprägen.