Rudi Tarneden, Pressesprecher von UNICEF Deutschland, spricht über die Ursachen von Hunger, sowie die Arbeit der Hilfsorganisation vor Ort.
ZDFonline: Kann man sagen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Hunger und Krieg gibt?
Rudi Tarneden: Hunger ist kein Ereignis, das einfach so über die Menschen kommt. Armut und Dürren hat es schon immer gegeben. Das Problem ist auch nicht, dass es zu wenige Nahrungsmittel gibt. Hunger erleben wir dort, wo es politische Instabilität gibt, Krieg, Flucht und Vertreibung. Hunger ist eigentlich immer eine Folge menschlichen Versagens und gleichzeitig verstärkt er diese Probleme des Versagens noch. Das sieht man besonders im Jemen.
Im Jemen herrscht seit drei Jahren Krieg. Gibt es einen Hoffnungsschimmer?
Es ist schwer von Hoffnung zu reden. Der Krieg im Jemen ist eine weitgehend ignorierte Tragödie. Dabei ist die Lage dramatisch: 400.000 Kinder sind mangelernährt. Es gibt aber kleine Erfolge: Wir konnten punktuell gegen Cholera impfen, nachdem wir eine Feuerpause heraushandeln konnten. Doch es wächst der internationale Druck auf die Konfliktparteien. Wir setzen darauf, dass es bald wieder offizielle Verhandlungen geben wird, um die Gewalt zu beenden.
Wie gestaltet sich Ihre Arbeit in diesem Kriegsgebiet?
Für unsere Mitarbeiter ist es mitunter eine sehr gefährliche Arbeit mit vielen Hindernissen. So werden immer wieder Hilfseinrichtungen angegriffen. UNICEF hat 250 Leute im Jemen und arbeitet mit Partnerorganisationen im ganzen Land. Dabei müssen wir immer darauf achten, die Konfliktlinien nicht zu überschreiten. Unsere Arbeit erreicht 10 Millionen Menschen. Das klingt erst mal viel. Aber eigentlich sind doppelt so viele Menschen hilfsbedürftig.
Die meisten von Hunger betroffenen Länder liegen in Afrika. Warum immer Afrika?
Erst einmal muss man betonen: Afrika ist mehr als ein Hungerkontinent. Aber Tatsache ist auch: Hier kommen viele Risikofaktoren zusammen. Große Teile des Kontinents haben ohnehin schon ein ungünstiges Klima. Das verstärkt sich noch durch den Klimawandel. In den Wüstenregionen fehlt es an Wasser. Obendrein sind viele Staaten politisch instabil. Es gibt ethnische und religiöse Konflikte, die sich ohne einen starken Staat schnell hochschaukeln können. Und alle diese Faktoren verstärken sich dann auch noch gegenseitig.
Die Zentralafrikanische Republik ist trauriger Spitzenreiter in der Liste der ärmsten Länder. Wir wissen kaum etwas über dieses Land. Wie ist die Situation dort?
Die Zentralafrikanische Republik ist einerseits ein Land mit vielen Bodenschätzen, zum Beispiel Diamanten. Doch der Reichtum kommt nicht bei den Menschen an. Das Land hat keine funktionierende Regierung. Es gibt Milizen, die Teile des Landes regieren und die Bevölkerung terrorisieren. Menschen fliehen vor der Gewalt, können darum ihre Felder nicht mehr bestellen.
Kann man in so einer unübersichtlichen Situation überhaupt noch helfen?
Man muss betonen: Die Bevölkerung versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Die Menschen entfalten da eine große Energie. Wir wollen sie dabei unterstützen. Wir Hilfsorganisationen müssen dabei immer mit allen Parteien im Gespräch sein. Man muss viel Verhandeln – auch mit Menschen, mit denen man eigentlich nicht reden möchte, weil sie zum Beispiel Kriegsverbrechen begangen haben.
Es gibt aber auch positive Beispiele. Verbessert hat sich die Lage etwa in Angola, Ruanda und auch in Äthiopien – ein Land, das jahrzehntelang der Inbegriff für Armut und Hunger war. Was wurde dort richtig gemacht?
In diesen Ländern haben wir es mit einigermaßen stabilen Regierungen zu tun. Und diese ergreifen präventive Maßnahmen. Da gibt es richtige Frühwarnsysteme. Es wird beobachtet: Wie sind die Ernten in den einzelnen Regionen? Wie entwickeln sich die Preise? Wie viele Menschen leben dort? Für Notfälle sind Vorräte angelegt worden. Das ist Know-how, das unter anderem von Hilfsorganisationen vermittelt wurde. Es hat lange gedauert, diese Strukturen aufzubauen. Aber genau deshalb haben wir seit der Jahrtausendwende viele Verbesserungen erlebt, was den Hunger in Afrika betrifft.
Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2030 als den Zeitpunkt bestimmt, zu dem Hunger in der Welt beseitigt sein soll. Wie schätzen Sie das ein?
Man wird Hunger nicht komplett beseitigen, aber als Menschheitsproblem dramatisch reduzieren können. Wir wollen davon wegkommen, als Helfer die Reissäcke über Krisengebieten abzuwerfen. Wir wollen Wissen vermitteln, wir wollen Strukturen schaffen, damit die Länder sich selbst helfen können. Und die positiven Beispiele, die wir eben genannt haben, zeigen, dass das geht.