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Medizinskandal oder reiner Zufall?

Rätsel um Fehlbildungen bei Neugeborenen

Eingang zum St. Marien-Hospital Buer

Die rätselhaften Fehlbildungen bei Neugeborenen in Nordrhein-Westfalen fordern Antworten. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn warnt vor wilden Spekulationen, versichert gleichzeitig die Prüfung in den weiteren Bundesländern.

Datum:
19.09.2019
Verfügbarkeit:
Video leider nicht mehr verfügbar

Die medizinische Diagnose „angeborenes Fehlen der Hand“ wird seit vielen Jahren von den Kassen statistisch erfasst. Pro Jahr werden in ganz Deutschland zwischen 40 und 70 Babys geboren, denen eine Hand oder einzelne Finger fehlen. Die Zahlen sind für jede Klinik verfügbar. Doch ein aktueller Fall wirft Zweifel auf: Wurden die Zahlen unzureichend ausgewertet? Haben Ärzte womöglich zu wenig nach den Ursachen gesucht?

Nachdem dieses Jahr drei Kinder innerhalb weniger Monate in derselben Klinik mit ähnlichen Fehlbildungen der Hand geboren wurden, herrscht Unsicherheit in Bezug auf die möglichen Ursachen. Die drei Kinder sind zwischen Juni und Anfang September im Gelsenkirchener Sankt Marien-Hospital Buer mit jeweils einer fehlgebildeten Hand zur Welt gekommen. Die Fälle wurden durch eine Hebamme öffentlich gemacht. Daraufhin haben sich weitere Betroffene aus anderen Teilen Deutschlands gemeldet. Und auch in Frankreich wurden 20 ähnliche Fälle gezählt. Die Klinik selbst bezeichnete die Vorkommnisse als "auffällig".

Viele sehen in der Anhäufung der Fälle Parallelen zum Contergan-Skandal. Mediziner wiederum versuchen zu beschwichtigen - immer wieder ist die Rede vom "statistischen Zufall". Aber wie Wahrscheinlich ist der Zufall, wenn innerhalb so kurzer Zeit mehrere Babys mit den gleichen Fehlbildungen im selben Krankenhaus geboren werden?

Wir ziehen erst dann Schlussfolgerungen, wenn wir auch etwas wissen."
Jens Spahn, Bundesgesundheitsminister

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat Aufklärung versprochen und zugleich vor Mutmaßungen gewarnt. "Wir nehmen das ernst, wir schauen uns das an", sagte Spahn laut den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) am Dienstagabend bei einer Veranstaltung in Berlin. Der CDU-Politiker wandte sich gegen voreilige Schlüsse: "Wir ziehen erst dann Schlussfolgerungen, wenn wir auch etwas wissen."

Es gehe jetzt darum herauszufinden, ob es tatsächlich eine Häufung solcher Fehlbildungen bei Babys gebe, sagte Spahn laut RND. Derzeit laufe eine entsprechende Abfrage in den Bundesländern. Der Gesundheitsminister kritisierte, er lese jetzt die "wildesten Spekulationen, bis hin zu Handystrahlen". Er warne vor einer Verunsicherung, wenn jeden Tag neue Erklärungen in Umlauf gebracht würden. Bisher gebe es keine Hinweise auf eine Häufung.

Tatsächlich kursieren schon einige Spekulationen. Umweltgifte durch Pflanzenschutzmittel, Handystrahlung, Induktionsherde. Parallelen zum Contergan-Skandal lassen sich in der Hinsicht tatsächlich ziehen - denn an dessen Anfang stand die Vermutung, Atomwaffentests seien der Grund für die Fehlbildungen. Schließlich kam aber heraus, dass ein Medikament daran Schuld war, welches Frauen in der Schwangerschaft nahmen.

Auch Experten der Mainzer Uniklinik warnten am Mittwoch in einer Pressekonferenz vor voreiligen Schlüssen. Der Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin, Fred Zepp, sprach "erstmal nur von einem frühen Signal". Es müsse jetzt untersucht werden, wie stark sich die Befunde der Hand-Fehlbildungen ähnelten und ob es sich tatsächlich um eine Häufung oder nur um zufällige Ereignisse handle.

Weiter führen die Experten aus, dass die Mainzer Uniklinik von 1990 bis 2016 in einem Geburtenregister alle Neugeborenen in der Region erfasst hat und dabei keine Häufung von Hand-Fehlbildungen festgestellt hat. Dies gelte auch für die vergangenen zwei, drei Jahre. In den mehr als 25 Jahren des Geburtenregisters seien fast 100.000 Neugeborene untersucht und erfasst worden.

Die Mainzer Mediziner fordern solche Register für 10 bis 15 Prozent der jährlich mehr als 700.000 Geburten in Deutschland. Dies wäre eine hervorragende Basis für Fragen zu neu entstehenden Fehlbildungen. Ein nationales Register für Fehlbildungen sei aber nicht notwendig, so die Mediziner in ihrer Stellungnahme.

In Mecklenburg-Vorpommern gibt es keine auffällige Häufung von Fehlbildungen. Das teilte das Gesundheitsministerium in Schwerin am Mittwoch mit.

Mit Material von dpa, AFP

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