Journalist und Kommunikationswissenschaftler Stephan Mündges beantwortet die wichtigsten Fragen.
Was sind überhaupt Fake News?
Falsche Tatsachenbehauptungen über Personen: Wer eine falsche Tatsachenbehauptung aufstellt, oder Fakten kommuniziert, die nachweislich unwahr sind, kann sich strafbar machen. „Wenn beispielsweise im Internet jemand behauptet, ein Politiker hätte etwas gesagt, dieses Zitat stimmt aber gar nicht, dann hat der betroffene Politiker die Möglichkeit dagegen vorzugehen“, sagt Michael Terhaag, Fachanwalt für IT-Recht, im ZDF-Interview. Denn dann handele es sich um eine falsche Tatsachenbehauptung, die den Betroffenen diskreditieren kann.
Falsche Tatsachenbehauptung über große Gruppen oder bestimmte Sachverhalte: Auch die können nachweislich falsch sein, können juristisch aber nicht verfolgt werden. Denn es ist nicht klar eingrenzbar, wer davon geschädigt wird. Eventuell könne es sich in so einem Fall um eine sogenannte Kollektiv-Beleidigung handeln, so Michael Terhaag. Die sei juristisch aber nur sehr schwierig zu definieren.
Hetze und Beleidigungen: Dass Hasskommentare insbesondere auf Facebook ein Problem sind, ist bekannt. Häufig haben wurde darüber berichtet, auch die Politik versucht Facebook in diesem Bereich Druck zu machen. Insbesondere wenn es um die Verantwortung des sozialen Netzwerks für die dort veröffentlichten Inhalte geht, fordern manche Politiker in einem Atemzug, Hetze und Fake News zu löschen oder zu verbieten.
Überspitzte, verfälschte Nachrichten mit einem wahren Kern: Das ist im Fall der Dortmunder Silvesternacht passiert. Diese Form der Fake News ist besonders schwierig zu entkräften. Denn erst einmal muss durch Recherchen nachgewiesen werden, was daran wahr, übertrieben oder schlicht erlogen ist. Bei dieser Abwägung kann es auch zwischen verschiedenen Beobachtern zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Deshalb ist eine staatliche Bewertung, ob es sich im Einzelfall um Fake News handelt, so problematisch.
Unüberprüfbarkeiten: Es gehört zu den Schwächen des Journalismus, dass er häufig mit Indizien und anonymen Quellen arbeiten muss. Deshalb versuchen Journalisten Tatsachen möglichst mit namentlichen Quellen und eindeutigen Beweisen zu belegen. Allerdings: der Mitarbeiter, der sich über unmenschliche Arbeitsbedingungen in einer Textilfabrik beschwert, hat meist Angst um seinen Job – will also nicht mit seinem Namen und Gesicht in der Öffentlichkeit stehen. Der Journalist muss seine Identität verschweigen. Diese Notwendigkeit kann auch instrumentalisiert werden, indem Zitate erfunden werden. In den meisten journalistischen Redaktionen gibt es daher interne Qualitätskontrollen. Meist gilt beispielsweise das Vier-Augen-Prinzip: Legt ein Reporter einen Filmbeitrag vor, muss der Beitrag von einem Redakteur abgenommen werden. Sollte der Redakteur Zweifel an bestimmten Inhalten haben, muss der Reporter diese mit klaren Beweisen ausräumen.
Propaganda: Staaten mischen sich mit tendenziösen Informationen in die Debatten ein, die in anderen souveränen Staaten geführt werden. Sie können das halbwegs offen tun oder versteckt. Im US-Wahlkampf gab es immer wieder Vermutungen, die russische Regierung habe E-Mail-Server der demokratischen Partei gehackt und die E-Mails von dort weitergegeben um Donald Trump zu unterstützen. Diese Vermutungen haben sich in den vergangenen Wochen erhärtet. Deutsche Politiker fürchten nun, dass sich der Kreml auch in deutsche Wahlkämpfe einmischen könnte.
Satire: Ist witzig gemeint, wird aber nicht von jedem verstanden. Teilweise werden auch Inhalte als Satire markiert, die nicht witzig sind. Dann liegt die Vermutung nahe, dass die Autoren solcher Inhalte die Satirefreiheit ausnutzen wollen.
Was wird dagegen unternommen?
Die Politik fordert härtere Strafen, sowohl für diejenigen, die unwahre Tatsachenbehauptungen über Personen veröffentlichen und verbreiten, als auch für soziale Netzwerke, wenn diese Hetze und Fake News nicht löschen. Justizminister Heiko Maas erklärte beispielsweise: „Facebook kann kein Interesse daran haben, dass seine Plattform missbraucht wird, um Lügen und Hetze zu verbreiten. Facebook verdient auch mit Fake News sehr viel Geld. Wer im Netz Milliardengewinne erzielt, der hat auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Strafbare Verleumdungen müssen umgehend nach Meldung gelöscht werden.“
Facebook hat bereits reagiert und die Möglichkeit geschaffen, Posts als Falschmeldung zu melden. Wird ein Beitrag häufig genug als Falschmeldung markiert, landet er bei Mitarbeitern des unabhängigen Recherchebüros „Correctiv“. Handelt es sich tatsächlich um eine Falschmeldung, wird der Inhalt entsprechend markiert, aber nicht gelöscht. Es kann jedoch sein, dass der Newsfeed-Algorithmus dafür sorgt, dass solche markierten Inhalte den Nutzern seltener angezeigt werden. Das gleiche System hat Facebook bereits Mitte Dezember in den USA gestartet. Das Problem dabei: Es ist unklar, ob die Markierung wirklich dazu führt, dass Nutzer skeptischer werden.
Ein Abwehrzentrum gegen Desinformation, wie es eine Zeit lang diskutiert wurde, soll es wohl doch nicht geben. Viele Experten hatten sich gegen eine solche staatliche Stelle für Wahrheitsfindung ausgesprochen.
Welche Rolle spielt Facebook?
Im Zentrum der Debatte steht immer Facebook. Das Netzwerk gilt als Hauptverbreitungsweg von Fake News. Tatsächlich nutzen viele kommerzielle Fake News-Seiten Facebook als Plattform, um Nutzer anzulocken. Allerdings werden auch über andere Online-Plattformen Falschinformationen, Hetze und Lügen verbreitet. In den Suchergebnissen von Google finden sich beispielsweise immer wieder Quellen, die fragwürdig sind. Hinzu kommt Googles Autocomplete-Funktion die Vorschläge zur Vervollständigung von Suchanfragen macht. Auch über YouTube werden immer wieder Videos verbreitet, in denen Falschinformationen präsentiert oder alte Videos in einem anderen Kontext veröffentlicht werden.
Wie viel Einfluss können Fake News auf die kommenden Wahlen haben?
Schwierig zu sagen, beziffern lässt sich das kaum. Allerdings sollte das Phänomen Fake News nicht isoliert betrachtet werden. Gerade nehmen mehrere problematische Entwicklungen rasant an Fahrt auf: Wir diskutieren vermehrt über sogenannte Fiterblasen und Echokammern. Durch die Algorithmen insbesondere der sozialen Netzwerke, aber auch durch personalisierte Suchergebnisse leben wir zunehmend in unserer eigenen kleinen Welt. Darin werden unsere bestehenden Ansichten und Meinungen immer wieder bestätigt: Uns werden Nachrichten und Posts angezeigt, die das belegen, was wir eh immer schon wussten. Wie stark sich dieser Effekt auf die Meinungsbildung großer Personengruppen auswirkt, ist wissenschaftlich momentan allerdings noch nicht belegbar. Zugleich verstärken Social Bots, autonom agierende Software, die Inhalte verbreiten, Stimmungen verstärken oder Diskussionen stören können.
Ergebnis all dieser Entwicklungen ist möglicherweise eine gespaltene Gesellschaft: Wenn es schon keine Fakten mehr gibt, auf deren Grundlage sich politische Probleme diskutieren lassen, wie soll sich dann ein Konsens finden lassen? Wenn Propagandisten, egal ob Mensch oder Maschine, Debatten manipulieren, wie soll eine Gesellschaft konstruktiv über offene Fragen diskutieren? Die Demokratie ist auf eine funktionierende Öffentlichkeit angewiesen.