Gerüche wirken schneller als jeder andere Sinnesreiz. Über die Nase gelangen die Duftmoleküle durch die Gehirnknochen ungefiltert in eine Hirnregion, die für die Bildung von Gefühlen und Erinnerungen zuständig ist. Der erste Kontakt mit einem Geruch bildet dabei eine Art Schlüsselreiz. Jedes Mal, wenn wir erneut mit diesem Geruch konfrontiert werden, entfaltet sich unbewusst vor unserem inneren Auge das Bild der Erstsituation und die seinerzeit gefühlten Emotionen werden heraufbeschworen.
Ob wir einen Duft als wohl- oder übelriechend empfinden, ob er uns gut oder schlecht fühlen lässt — das liegt nicht in unseren Genen, sondern ist an die individuelle Biographie gekoppelt. Oft führen uns Gerüche in die Kindheit zurück: Frisch gemähter Rasen erinnert an den Sommer und ans Fußballspiel mit Kumpels, frisch gebackene Brötchen an den Sonntagmorgen, Vanille an Babybrei.
Wohlgeruch als Marketingstrategie
Marketingstrategen setzen schon länger auf nasale Assoziationen bei ihrer Kundschaft. Wohlgerüche im Kaufhaus sollen schon im Februar Frühlingsgefühle wecken und laden zum Verweilen ein. Das steigert die Kauflust. Gezielte Beduftung weckt Illusionen. Gebrauchtwagen werden mit Neuwagengeruch eingesprüht, Plastiktaschen riechen nach Leder. Auch die Lebensmittelindustrie setzt auf Duftmarketing. Der köstliche Brotgeruch, der aus dem Backshop strömt, stammt nicht immer aus dem Ofen, sondern wird in vielen Fällen von einer industriellen Duftlampe in den Raum geblasen.
Beim Entwurf von Neubauten planen Architekten oft schon das künstliche Beduftungssystem über die Klimaanlage mit ein. Großraumbüros werden mit Eukalyptus beduftet, um die Arbeitszufriedenheit und Produktivität zu steigern. In Parkhäusern soll der Urin- und Betonmief überdeckt werden. Banken parfümieren ihre Filialen, um ihre Marke zu prägen. Hotelketten machen sich über einen „Hausduft“ weltweit erkennbar und in Pflegeheime strömt ein angenehm neutraler Desinfektionsmittelgeruch.
Kritiker warnen vor Gesundheitsschäden
Umweltschützer und Gesundheitsexperten sprechen sich gegen die Parfümierlust in öffentlichen Räumen aus. Zum einen, so lautet das Argument, sollen Wohlgerüche schlechte hygienische Zustände maskieren, vor allem im medizinischen Bereich. Zum anderen wird die duftgesteuerte Kauflust der Kunden als Manipulation kritisiert. Ferner, so die Allergieverbände, vermischen sich Raumdüfte mit bereits vorhanden Duftpartikeln aus Kosmetika und Baustoffen und bilden so einen unberechenbaren Duftcocktail, der vor allem Allergikern, Migräneanfälligen und hypersensiblen Menschen zu schaffen macht.
Auch wenn es noch keine belastbaren Studien dazu gibt, sind sich Experten sicher: Durch die zunehmende künstliche Beduftung steigt auch für Nichtallergiker das Risiko, zukünftig an einer Allergie zu erkranken. Kritiker fordern deshalb dringend gesetzliche Regelungen. Befürworter sehen im Gegenzug die Duftvielfalt im öffentlichen Raum als Bereicherung an, solange sie in Maßen eingesetzt wird.
Hier geht's zur Infoseite des Bundesamtes für Verbraucherschutz zum "Thema Duftstoffe in Innenräumen"