Statistisch gesehen ist jede vierte Frau von häuslicher Gewalt betroffen – in physischer und psychischer Form, die Dunkelziffer liegt vermutlich höher. Auf Bundesebene werden die Fälle erst seit 2011 separat erfasst und von der Vielzahl anderer Körperverletzungen getrennt.
Zunehmende Intensität
Häusliche Gewalt habe in der Regel eine Vorgeschichte, die meist lange Zeit unbemerkt bleibe, sagt Luzia Kleene von der Frauenberatungsstelle in Düsseldorf. Oft sei es erst im Nachhinein möglich, die Anzeichen richtig zu deuten. „Der Täter bereitet den Boden, damit sich die Partnerin abhängig fühlt. Das Ganze hat System und ist anfänglich vielleicht auch nicht von einer Verliebtheit zu unterscheiden“, führt Kleene aus. Die Partnerin werde zunehmend diffamiert und herabgewürdigt, Freunde und Familie schlecht gemacht und der Kontakt entzogen, die Betroffenen isoliert. Sukzessiv entstehe eine Druckkulisse.
„Das Perfide ist, dass sich die Täter nach außen hin oft als schillernde Persönlichkeiten darstellen, die sich zum Beispiel fürsorglich um die Kinder kümmern“, skizziert Kleene. So könne es sein, dass man zum Beispiel zusammen auf eine Party gehe und gemeinsam Spaß habe. Doch kaum zu Hause angekommen, wende sich das Blatt.
Späte Abwehr
Die Schwelle, Hilfe zu holen, scheint für viele Frauen unüberwindbar, schließlich hinterlassen psychische und physische Misshandlungen Spuren: „Je nachdem wie lange die Gewalt schon stattfindet, ist das Selbstwertgefühl der Frauen im Keller und sie trauen sich nichts mehr zu“, erklärt die Expertin. Ihnen sei die eigene Situation peinlich – sie schämen sich, gerade weil sich der Partner nach außen ganz anders darstelle.
Die Situation kann sehr komplex sein: Neben einer emotionalen Abhängigkeit, also der Liebe zum Partner und den gemeinsamen Kindern, bestehe nicht selten eine finanzielle Abhängigkeit zum Partner. Dazu gesellen sich abwechselnd Gefühle wie Schuld, Vergebung oder Angst. „Viele Frauen kommen nicht auf den Gedanken, dass es für ihre Situation eine Alternative gibt“, erklärt Kleene. Hilfe zu suchen koste Mut, aber die Frauen müssten sich bewusst machen, dass es um ihr Leben gehe, so die Expertin.
Handeln im Notfall
Bei einem akuten Vorfall sollte die Polizei unter der 110 kontaktiert werden. Wenn die Beamten zu einem Fall häuslicher Gewalt gerufen werden, werden Täter und Opfer getrennt. Es gibt einen Wohnungsverweis für den Täter, der die Wohnung 10 Tage lang nicht betreten darf. Betroffene können sich auch an Frauenberatungsstellen und Frauenhäuser vor Ort wenden. Sie begleiten die Frauen auch auf ihrem weiteren Weg. Eine anonyme Beratung kann über das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen unter der 08000-116016 in Anspruch genommen werden. Weitere Informationen gibt es auf den Seiten des Hilfetelefons und der Polizei.
Auch Anwohner oder Nachbarn können bei Verdacht auf häusliche Gewalt die Polizei rufen. Sind Kinder involviert, könne man auch das Jugendamt einschalten, so Luzia Kleene. „Besser ist es aber, Hilfe anzubieten. Bei Erwachsenen kann man zum Beispiel die Nummer des Hilfetelefons hinlegen, auch um zu zeigen, dass man sich der Situation bewusst ist und die Bereitschaft hat zu helfen.“ Die Betroffenen dürften nicht gedrängelt werden, sie müssten selbst erkennen, wann der richtige Moment ist, um aus der Situation auszubrechen.