Menschen, die nach einem Todesfall besonders intensiv und lange trauern, könnten schon bald eine eigenständige medizinische Diagnose erhalten: die anhaltende Trauerstörung. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) will diese Diagnose in die sogenannte ICD-11 eintragen, eine Liste von Krankheiten und Gesundheitsproblemen, die im Laufe des Jahres 2018 veröffentlicht werden soll. Die ICD dient weltweit als Grundlage zur Verschlüsselung medizinischer Diagnosen – auch in Deutschland.
Definition
Im Internet hat die WHO eine vorläufige Beta-Version in englischer Sprache veröffentlicht. Wichtigste Kriterien der anhaltenden Trauerstörung (englisch: Prolonged grief disorder) und Unterschiede zu normaler Trauer sind demnach vor allem die Dauer und Intensität der Trauer: Betroffene verspüren eine brennende Sehnsucht und emotionale Schmerzen wie Verbitterung, Wut, Traurigkeit, die mehr als sechs Monate nach dem Verlust den Alltag und das eigene Leben besonders stark beeinträchtigen.
Warum eine neue Diagnose?
Internationale Fachkräfte haben über die Einführung der neuen Diagnose lange und kontrovers diskutiert. Es besteht Uneinigkeit, ob eine solche Diagnose den Betroffenen Vor- oder Nachteile bringen wird.
Befürworter argumentieren, dass sich die Symptome intensiv und lange Trauernder hinreichend von anderen Diagnosen wie Depression oder Posttraumatische Belastungsstörung PTBS unterscheiden. Betroffene hätten bislang nicht nur falsche Diagnosen, sondern auch ungeeignete Therapien erhalten. Vor allem Antidepressiva oder bestimmte Traumatherapien seien ineffektiv. Durch die spezifische Diagnose sollen Betroffene schnellere, spezifische und bessere Therapie erhalten.
Kritik an der Diagnose
Kritik kommt aber unter anderem von Hospiz- und Palliativeinrichtungen: Der Begriff „Trauerstörung“ sei irreführend. Störungen würden nicht durch Trauer entstehen, sondern durch den Verlust einer nahen Bezugsperson. Trauern sei vielmehr eine normale und wichtige Funktion, die heilende Kraft habe.
Wie Menschen trauern, sei zudem individuell und kulturell sehr unterschiedlich. Durch Festlegungen von bestimmten Zeiten (beispielsweise mindestens sechs Monate) würden Trauerprozesse eingegrenzt und normiert. Dies könnte dazu führen, dass normal Trauernde vorschnell als psychisch krank stigmatisiert werden. Andere hatten gefordert, den Zeitraum auf 12 Monate, 14 Monate (das sogenannte Trauerjahr berücksichtigend) oder 24 Monate zu erhöhen.