Wie mächtig sind die WissenschaftlerInnen heute? Und gibt es eigentlich noch die großen moralischen, geistigen Instanzen? Über Moral und Macht in Zeiten des Umbruchs spricht Richard David Precht mit Prof. Alena Buyx, der Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats.
Expertokratie oder Demokratie?
In der Corona-Pandemie stehen plötzlich ÄrztInnen, VirologInnen und EthikerInnen an vorderster Front, und ihre Einschätzungen und Ratschläge bestimmen die Maßnahmen der Politik und den Alltag der Menschen. Ist dies gut, fragt Richard David Precht, weil nun endlich durch Fachleute wissenschaftlich fundierte Entscheidungen gefunden würden, oder ist die Tendenz zur Expertokratie letztendlich nicht im Sinne unserer Demokratie?
Wer sind gegenwärtig überhaupt die moralischen Instanzen unseres Landes, fragt Precht. Sind es tatsächlich noch die Bildungseliten, oder längst eher Persönlichkeiten wie Greta Thunberg und die InfluencerInnen in den Sozialen Medien?
Ist Ethik logisch?
Auch Alena Buyx attestiert eine wachsende Komplexität unserer Meinungslandschaft im Gegensatz zu früher. Im Ethikrat sieht sie aber eine Instanz, die sich um ein möglichst sachliches und ausgewogenes Bild bemüht. Sie betont die notwendige Wissenschaftlichkeit bei der Suche nach einem moralischen Leitfaden.
Precht hält dagegen: Ethik, also das Nachdenken über Moral, sei doch nicht zwingend rein wissenschaftlich zu sehen. Jeder Mensch habe grundsätzlich das Recht und die Befähigung, moralisch zu urteilen. Und wie können Ethikräte denn ausschließen, dass auch sie letztendlich nur ihrem subjektiven Empfinden folgen und nicht einer wissenschaftlichen Logik?
Neue Aufklärung?
Gut möglich, meint Precht, dass unsere Gesellschaft sich nicht nur im Zeichen der Klimakrise und der Digitalisierung im radikalen Umbruch befinde, sondern am Beginn einer neuen Aufklärung, die es noch in einer gemeinsamen großen Anstrengung zu definieren gelte.
Gerade deshalb, so Buyx, sei es wichtig, dass ExpertInnen sich damit beschäftigten, wie ein gelingender ethischer Gedankenaustausch stattfindet, um dem Pluralismus, aber auch dem Zusammenhalt der Gesellschaft Rechnung zu tragen. Buyx kritisiert in diesem Zusammenhang, dass die Politik in der Pandemie der engagierten Zivilgesellschaft zu wenig Gehör geschenkt habe. Das müsse in Zukunft besser werden.